Leitsatz
Der Unternehmer darf den ihm obliegenden sicheren Nachweis der materiellen Tatbestandsmerkmale einer innergemeinschaftlichen Lieferung auch jenseits der formellen Voraussetzungen gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV nicht in anderer Weise als durch Belege und Aufzeichnungen führen.
Normenkette
§ 6a UStG, Art. 28c 6. EG-RL, § 76 FGO
Sachverhalt
Der Kläger behandelte innergemeinschaftliche Lieferungen als steuerfrei. Das FA beanstandete dies im Hinblick auf einen fehlenden Belegnachweis. Es fehlten Angaben zu den Bestimmungsorten, die Person des Belegausstellers sei unklar. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG (FG Düsseldorf, Urteil vom 31.1.2014, 1 K 3117/12 U, Haufe-Index 6758257) sah sich nicht zu einer Beweiserhebung zu den Bestimmungsorten verpflichtet an, da der Kläger den Belegnachweis nicht erbracht habe.
Entscheidung
Der BFH bestätigte das Urteil der Vorinstanz. Der Belegnachweis sei nicht erbracht. Das objektive Vorliegen der Voraussetzungen für die Steuerfreiheit stehe nicht fest. Das FG sei insoweit zu einer Beweiserhebung durch Zeugen nicht verpflichtet gewesen. Im Hinblick auf die Mängel des Belegnachweises komme auch eine Steuerfreiheit aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht in Betracht.
Hinweis
1. Der Unternehmer hat die materiellen Voraussetzungen der Steuerfreiheit nach § 6a Abs. 1 UStG gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDVformell durch Belege und Aufzeichnungen nachzuweisen. Die den formellen Beweispflichten zugeschriebene Bedeutung ist wechselhaft.
a) Entsprechend der damaligen Beurteilung bei § 6 UStG (BFH, Urteil vom 28.2.1980, V R 118/76, BStBl II 1980, 415) sah der BFH den "Beleg- und Buchnachweis" zunächst auch bei § 6a UStG als "materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Steuerbefreiung" an (BFH, Beschluss vom 2.4.1997, V B 159/96, BFH/NV 1997, 629). Kam der Unternehmer den formellen Nachweispflichten nicht nach, führte dies nach damaliger Ansicht des BFH selbst dann zur Steuerpflicht, wenn die materiellen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung "zweifelsfrei" vorliegen (so der Vorlagebeschluss des BFH zum späteren EuGH-Urteil Collée, vgl. BFH, Beschluss vom 10.2.2005, V R 59/03, BFH/NV 2005, 815, BStBl II 2005, 537).
b) Dies änderte sich erst durch das auf Vorlage durch den BFH ergangene EuGH-Urteil Collée (EuGH, Urteil vom 27.9.2007, C-146/05, Haufe-Index 1813941). Wurde "unbestreitbar" eine innergemeinschaftliche Lieferung ausgeführt, erfordert es nach diesem Urteil der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass die Steuerbefreiung gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat.
c) In der Folgezeit ging der BFH davon aus, dass die innergemeinschaftliche Lieferung auch steuerfrei ist, "wenn trotz der Nichterfüllung der formellen Nachweispflichten aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen". Dann sei "die Steuerbefreiung zu gewähren, auch wenn der Unternehmer die erforderlichen Nachweise nicht entsprechend §§ 17a, 17c UStDV erbrachte" (BFH, Urteil vom 6.12.2007, V R 59/03, BFH/NV 2008, 515, BStBl II 2009, 57).
2. Der BFH zieht die Grenzen für den Nachweis einer Steuerfreiheit nunmehr enger. Danach kann ein fehlender Belegnachweis im Regelfall nicht durch Zeugenaussagen ersetzt werden.
a) Der BFH geht jetzt davon aus, dass die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung nach nationalem Recht nur beleg- und buchmäßig in Anspruch genommen werden kann. Eine weitergehende Steuerfreiheit ohne Formalnachweis kann sich danach nur aus dem Unionsrecht ergeben. Im Hinblick auf die für den nationalen Gesetzgeber unionsrechtlich bestehende Befugnis, Regelungen zum Beleg- und Buchnachweis zu treffen, sieht der BFH eine Steuerfreiheit ohne Formalnachweis unionsrechtlich nur aus Gründen der steuerlichen Neutralität oder der Verhältnismäßigkeit als geboten an. Eine Steuerfreiheit ohne Formalnachweis ergibt sich hieraus aber nur ausnahmsweise.
b) Aus dem Neutralitätsgrundsatz kann sich nach dem Urteil des BFH eine Steuerfreiheit nur dann ergeben, wenn die Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung "unbestreitbar feststehen".
c) Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt nach dem BFH-Urteil ein Recht auf Nachweisführung in anderer Weise als durch Belege und Aufzeichnungen nur, "wenn der Formalbeweis ausnahmsweise nicht oder nicht zumutbar geführt werden kann". Danach kommt ein Beweis durch Zeugen als Ersatz für den Buch- und Belegnachweis grundsätzlich nicht in Betracht, und zwar weder von Amts wegen (§ 76 Abs. 1 FGO) noch auf Antrag.
3. Durch die Entscheidung des BFH kommt es zu einem Beweiserhebungsverbot, das in rechtsstaatlicher Hinsicht fragwürdig ist.
Dies gilt auch im Hinblick auf das Steuerstrafrecht. Hat der Unternehmer in das übrige Gemeinschaftsgebiet an einen zur Erwerbsbesteuerung verpflichteten Abnehmer geliefert, kann er dies aber nicht ...