Leitsatz
1. Die wirksame Eröffnung eines innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahrens, mit dem verbrauchsteuerpflichtige Erzeugnisse unter Steueraussetzung in einen anderen Mitgliedstaat befördert werden können, setzt eine Zulassung des Empfängers als Steuerlagerinhaber oder berechtigter Empfänger voraus.
2. Wird an einen Nichtberechtigten geliefert, entsteht die MinöSt nach § 9 Abs. 1 MinöStG 1993 mit der Entfernung des Mineralöls aus dem Steuerlager, ohne dass es darauf ankommt, dass das Mineralöl im Steuergebiet verbraucht wird.
3. Die Regelung der Steuerentstehung in § 9 Abs. 1 MinöStG 1993 verstößt weder gegen das Bestimmungslandprinzip noch gegen verfassungsrechtliche Vorgaben.
4. Die Rechtsprechung des EuGH und des BFH zu den Voraussetzungen für eine umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung und zum Gutglaubensschutz kann nicht auf verbrauchsteuerrechtliche Sachverhalte übertragen werden.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 MinöStG 1993, Art. 3 Abs. 1, Art. 12, 14 GG, Art. 28, 90 EG, Art. 6 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1, Art. 22 RL 92/12/EWG, § 53 MinöStV, § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1 FGO
Sachverhalt
Ein Mineralölhändler, der Inhaber eines Steuerlagers ist, versandte große Mengen unversteuerten Mineralöls an verschiedene Firmen in Polen, die ihm durch Vorlage gefälschter Zolldokumente vorgespiegelt hatten, berechtigte Empfänger zu sein. Das HZA verlangt von dem Händler MinöSt, die durch die Entfernung der Ware aus dem Steuerlager entstanden sei.
Entscheidung
Der BFH hat die klageabweisende Entscheidung des FG (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24.01.2007, 3 K 395/06) bestätigt. Der Händler genießt im MinöSt-Recht keinen Gutglaubensschutz.
Hinweis
Die Möglichkeit, unversteuerte Ware aus einem Steuerlager an berechtigte Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat zu liefern, ist in § 11 EnergieStG geregelt. Dieser setzt klar und eindeutig voraus, dass an einen – tatsächlich – berechtigten Empfänger geliefert wird. Das war in § 15 Abs. 1 MinöStG, der in diesem Fall noch anzuwenden ist, nicht anders.
Nach den zur USt-Freiheit von Ausfuhrlieferungen vom EuGH entwickelten Grundsätzen wäre allerdings gleichwohl eine Steuerschuld nicht geltend zu machen, wenn ein Händler in gutem Glauben und bei Anwendung aller Sorgfalt an einen in Wahrheit nicht berechtigten Empfänger geliefert hat, nachdem dieser ihn über seine Empfangsberechtigung getäuscht hat. Denn der EuGH gewährt Steuerbefreiung bei einer Ausfuhrlieferung, auch wenn die Voraussetzungen für eine Befreiung gar nicht vorliegen, der Steuerpflichtige dies aber auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns infolge der Fälschung des vom Abnehmer vorgelegten Nachweises der Ausfuhr nicht erkennen konnte.
Der BFH hat diese Rechtsprechung indes auf die Ausfuhr von verbrauchsteuerpflichtigen Waren im Steueraussetzungsverfahren nicht übertragen. Im Gegensatz zum USt-Recht setze das Verbrauchsteuerrecht bei der steuerfreien Lieferung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren eine besondere Berechtigung des Versenders, die Leistung einer Sicherheit und die Einhaltung eines besonderen Überwachungsverfahrens unter Verwendung von Begleitdokumenten voraus. Damit nähere sich das Steuerversandverfahren den zollrechtlichen Versandverfahren an, die ebenfalls eine strenge zollamtliche Überwachung der Beförderung und eine besondere Verantwortung des Versenders vorsehen. In seiner Entscheidung C-230/06 habe der EuGH eine zollrechtliche Inanspruchnahme des Hauptverpflichteten selbst bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zugelassen. Zugleich habe er darauf hingewiesen, dass sich die Rechtsprechung zum Zollrecht aufgrund der in Aufbau, Zielsetzung und Zweck bestehenden Unterschiede zum USt-Recht nicht auf umsatzsteuerrechtliche Sachverhalte übertragen lasse. Der BFH hält folglich auch die umgekehrte Übertragung von Rechtsgrundsätzen des USt-Rechts auf das Verbrauchsteuerrecht für unzulässig.
Man möchte freilich den EuGH gerne fragen, warum er zum USt-Recht so, zum Zollrecht aber entgegengesetzt entschieden hat; denn ganz selbsterklärend dürfte diese Differenzierung unbeschadet der (bloß "rechtstechnischen"?) Unterschiede zwischen Versandverfahren und Ausfuhrlieferungen nicht sein.
Dass eine Ware zweifelsfrei das Steuergebiet verlassen hat, ändert für sich genommen allemal nichts an der Steuerentstehung. Denn der sog. Wirtschaftszollgedanken ist – wenn er denn überhaupt jemals eine gesetzlich entstandene Schuld sollte zunichte machen können – nicht auf das Verbrauchsteuerrecht zu übertragen. Auch die Gefahr einer Doppelbesteuerung könnte an der Steuerentstehung in Deutschland nichts ändern; denn der Gemeinschaftsgesetzgeber hat die Vermeidung einer Doppelbesteuerung keineswegs zu einem absoluten verbrauchsteuerrechtlichen Grundsatz erhoben.
Und erst recht nicht verspricht der (mitunter im Schrifttum unternommene) Versuch Aussicht auf Erfolg, mit Billigkeitserwägungen doch noch zu einer Steuerentlastung zu kommen, was nämlich die gesetzliche Strenge des Verbrauchsteuerrechts au...