Leitsatz
1. In einer nationalen Verordnung, welche die unionsrechtlichen Vorgaben zur Erhebung einer Milchabgabe ergänzt, müssen die betreffenden Vorschriften des Unionsrechts nicht gem. Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG angegeben werden.
2. Die Ausgestaltung der Saldierungsregeln durch die MGV verletzt nicht deshalb das Rechtsstaatsprinzip, weil der Vorbehalt des Gesetzes verlange, dass der Gesetzgeber die diesbezüglich erforderlichen Vorschriften selbst erlässt. Die Saldierung ist der Sache nach kein Akt der Abgabenerhebung, sondern ein Akt der gewährenden Verwaltung, der in dem gesamtstaatlichen Interesse erfolgt, die festgesetzte Garantiemenge auszuschöpfen.
3. Es gibt keinen unionsrechtlichen Anspruch eines Milcherzeugers auf eine Neuzuweisung der in dem jeweiligen Zwölf-Monats-Zeitraum von anderen Milcherzeugern nicht ausgenutzten Milchquoten.
4. Überschüssige Beträge aus der Erhebung der Milch-Garantiemengenabgabe müssen zweckgebunden verwendet werden. Die zweckgebundene Verwendung bzw. die Existenz gesetzlicher oder verwaltungsmäßiger Vorkehrungen, die eine solche Verwendung sicherstellen, ist aber nicht Voraussetzung dafür, dass die Milchabgabe von dem einzelnen Erzeuger rechtmäßig erhoben werden darf.
5. Dass das FG zweifelhafte Fragen des Unionsrechts nicht dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, kann keinen Verfahrensmangel i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO darstellen und kann auch Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht verletzen.
Normenkette
§ 34 MilchQuotV, Art. 20, Art. 80 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Wegen Überlieferung seiner Milchquote im Milchwirtschaftsjahr 1998/1999 ist ein Milchbauer zu einer Abgabe herangezogen worden. Er hatte unter der Erzeugernummer einer in einem anderen Bundesland ansässigen Agrargenossenschaft unter Verschleierung des Umstands, dass die betreffende Milch in seinem Betrieb erzeugt worden ist, Milch geliefert, obwohl er insoweit nicht über eine ungenutzte Milchquote verfügte. Wegen dieser Milchlieferungen ist er durch Strafbefehl wegen gemeinschaftlicher Steuerhinterziehung rechtskräftig verurteilt worden.
Gegen den nach Saldierung auf Molkerei- und Bundesebene ergangenen Abgabenbescheid richtet sich seine Klage, die das FG abgewiesen hat (Hessisches FG, Urteil vom 20.08.2009, 7 K 3/09). Die gegen die Nichtzulassung der Revision in dessen Urteil erhobene Beschwerde hat der BFH zurückgewiesen.
Entscheidung
Der BFH hält die von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen (siehe Praxis-Hinweise) für geklärt.
Hinweis
1. In einer Rechtsverordnung, welche unionsrechtliche Vorgaben ergänzt (im Streitfall: die Regelungen zur Erhebung einer Milchabgabe), müssen die betreffenden Vorschriften des Unionsrechts nicht gem. Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG angegeben werden. Denn Vorschriften über Förmlichkeiten wie Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG sind im Allgemeinen streng nach ihrem Wortlaut anzuwenden und nicht ihrem Rechtsgedanken entsprechend erweiternd auszulegen. Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG schreibt nur die Angabe der Ermächtigung des deutschen Gesetzgebers vor, aufgrund derer die Verordnung erlassen worden ist – das ist hier das Marktorganisationsgesetz. Der Verordnungsgeber soll sich dadurch vergewissern, dass er lediglich delegierte Rechtssetzungsgewalt ausübt, und der Rechtsunterworfene dies auch erkennen muss. Strukturell etwas völlig anderes ist Ergänzung von Unionsrecht durch nationale Vorschriften oder Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben (Richtlinien) in nationales Recht; denn das ist nicht Ausübung von der Union abgeleiteter Rechtssetzungsgewalt, sondern unbeschadet der unionsrechtlichen Bindungen souveräne deutsche Rechtssetzung. Auch das schließt eine entsprechende Anwendung von Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG aus.
Dementsprechend hält nicht nur der BFH, sondern auch das BVerwG nicht für geboten, in einer Rechtsverordnung anzugeben, welche unionsrechtlichen Vorschriften dabei berücksichtigt worden sind (mag das auch dem Rechtsunterworfenen eine Prüfung der Rechtsgültigkeit der Verordnung sehr erleichtern).
2. Die Ausgestaltung der Saldierungsregeln durch die MGV verletzt nicht das Rechtsstaatsprinzip; sie unterliegt nicht dem Vorbehalt des Gesetzes (so schon BFH, Beschluss vom 28.11.2006, VII B 54/06, BFH/NV 2007, 381, BFH/PR 2007, 167). Die Saldierungsregeln sind zwar im System der Erhebung einer Milchabgabe und für die Stellung des Milcherzeugers in diesem System nicht völlig marginal; sie haben vielmehr mitunter (je nachdem, wie groß die Saldierungsmasse = die Summe der Unterlieferungen ausfällt) erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen für den einzelnen Milcherzeuger. Das Entscheidende ist jedoch, dass sie nicht in seine Grundrechtsstellung "eingreifen": sie erlegen ihm keine Abgabenlast auf, sondern mildern oder beseitigen allenfalls seine bereits "an sich" begründete Abgabenlast. Trotz ihrer Einbettung in das Verfahren der Abgabenerhebung stellen mithin die Saldierungsregeln einen Akt gewährender Verwaltung dar; dieser ergeht im Übrigen nicht in erster Linie im Int...