Leitsatz

Eine Änderung nach § 173 Abs.1 Nr. 2 AO kommt nicht in Betracht, wenn ein Beweismittel nachträglich entsteht.

 

Sachverhalt

Die Klägerin beantragte für ihren volljährigen, schwerbehinderten Sohn Kindergeld. Das Finanzamt forderte nach dem Antrag die Übersendung verschiedener Unterlagen an, insbesondere eine Kopie des Schwerbehindertenausweises und einen Bescheid des Versorgungsamts. Da die Unterlagen nicht eingereicht wurden, lehnte das Finanzamt den Antrag ab. Der Bescheid wurde im September 2009 bestandskräftig. Im Oktober 2010 beantragte die Klägerin erneut, ihr für alle nicht verjährten Zeiträume Kindergeld zu gewähren. Im Verlauf des Verfahrens legte sie einen Bescheid des Versorgungsamts vom Januar 2010 vor. In diesem wurde die Behinderung bescheinigt. Hierauf gewährte das Finanzamt ab dem Monat der Bekanntgabe des ersten Bescheides im August 2009 Kindergeld. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Dieser wurde zurückgewiesen, da eine Korrektur der bestandskräftigen ersten Entscheidung nicht in Betracht komme. Gegen die Einspruchsentscheidung wurde Klage erhoben. Die Klägerin trug insbesondere vor, im ersten Verfahren habe noch keine Bescheinigung über die Behinderung vorgelegen, so dass eine Änderung dieser ersten Entscheidung zu erfolgen habe.

 

Entscheidung

Die Klage wurde als unbegründet zurückgewiesen. Nach Ansicht des Finanzgerichts Münster sei keine Korrekturbestimmung gegeben, die eine Änderung der bestandskräftigen ersten Entscheidung ermöglichen könne. Zwar sei der Nachweis über die Behinderung des Sohnes ein Beweismittel im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Dieses sei aber nicht nachträglich bekannt geworden im Sinne der Bestimmung, da dies erfordere, dass das Beweismittelt zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung bereits vorhanden, aber dem Finanzamt nicht bekannt gewesen sei. Hier sei der Bescheid jedoch erst in 2010 - also nach der dem Erlass des ersten Bescheides im August 2009 - entstanden. Ein neu entstandenes Beweismittel falle nicht unter die Korrekturnorm des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Im Übrigen träfe die Klägerin hier auch ein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden, auch wenn dieses hier nicht entscheidungserheblich sei.

 

Hinweis

So bedauerlich die Entscheidung auch sein mag - angesichts der Rechtsprechung des BFH kommt sie nicht überraschend und erscheint angesichts des Gesetzeswortlauts auch zutreffend. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des BFH, dass ein Beweismittel, das nachträglich entstanden ist, kein neues Beweismittel im Sinne der Norm darstellt (BFH, Urteil v. 30.9.1981, II R 105/81, BStBl 1982 II S. 81; Frotscher, in Schwarz, AO, § 173 AO Rz. 117). Angesichts der Tatsache, dass ansonsten die Bestandskraft zu sehr ausgehöhlt werden würde, erscheint diese Rechtsprechung nachvollziehbar. Vom FG Münster nicht geprüft wurden die speziellen Korrekturbestimmungen, die für das Kindergeldverfahren in § 70 EStG geregelt sind (vgl. hierzu Weber-Grellet, in Schmidt, EStG, § 70 EStG Tz. 1ff.). Dies war hier auch nicht erforderlich, da es um die erstmalige Gewährung von Kindergeld ging und keine Änderung der Verhältnisse, die den Anspruch auf Kindergeld betreffen, eingetreten war.

Gegen das Urteil wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Das Aktenzeichen des BFH ist V B 101/12.

 

Link zur Entscheidung

FG Münster, Urteil vom 27.08.2012, 12 K 2574/11 Kg

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge