Leitsatz
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach einbehaltene Lohnsteuer nur insoweit auf die festgesetzte Einkommensteuer angerechnet werden kann, als die zugehörigen Einkünfte bei der Veranlagung erfasst worden sind (hier: Lohnsteuereinbehalt von Sondervergütungen eines Mitunternehmers, die bei der Gewinnfeststellung und folglich bei der Einkommensteuerveranlagung außer Ansatz geblieben sind).
Normenkette
§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG , § 36 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 4 Satz 2 EStG
Sachverhalt
Ein Kellner wurde Miterbe einer Gaststätte, in der er jahrelang gegen Lohn beschäftigt gewesen war. Die Erbengemeinschaft beschäftigte ihn weiter und führte für ihn weiterhin Lohnsteuer ab. Bei der Gewinnfeststellung wurden die Löhne aber nicht rechtlich zutreffend, nämlich als Sondervergütungen an einen Gesellschafter, erfasst. Der Gewinnfeststellungsbescheid wurde bestandskräftig. Das für die Einkommensteuerveranlagung zuständige FA versagte die Anrechnung der abgeführten Lohnsteuer auf die festgesetzte Einkommensteuer.
Entscheidung
Der BFH hält die Klage gegen die Anrechnungsverfügung des FA für unbegründet. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG stelle eine Verknüpfung zwischen Steuerfestsetzungs- und Steuererhebungsverfahren her, indem die im Weg des Steuerabzugs erhobene Einkommensteuer nur angerechnet werde, "soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfällt". Eine Steueranrechnung sei nicht geboten, wenn die mit Steuern belasteten Einnahmen bei der Einkommensteuerveranlagung nicht erfasst worden sind. Denn in einem solchen Fall würde die Anrechnung der Lohnsteuer auf die Steuerschulden die materielle Unrichtigkeit des steuerlichen Ergebnisses noch vergrößern.
Hinweis
Das EStG sieht vor, dass im Anschluss an die Steuerfestsetzung in einem gesonderten Verfahren, nämlich der Steuererhebung, eine Verfügung (Verwaltungsakt) ergeht, in der über die Anrechnung bestimmter, bereits geleisteter Steuerzahlungen auf die festgesetzte Einkommensteuer entschieden wird (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 2 EStG). Diese Anrechnungsverfügung berücksichtigt u.a. die abgeführte Lohnsteuer jedoch nur insoweit, als sie "auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfällt" (Nr. 2).
Obwohl also die Anrechnungsverfügung als Maßnahme des Erhebungsverfahrens grundsätzlich nur tatsächlich geleistete Steuerzahlungen mit der festgesetzten Steuerschuld verrechnen soll, besteht eine gewisse Verknüpfung mit dem Festsetzungsverfahren. Soweit die Einnahmen bei der Einkommensteuerveranlagung nicht erfasst, also nicht besteuert worden sind, würde nämlich die Anrechnung darauf entrichteter Lohnsteuer das steuerliche Ergebnis "unter dem Strich" noch mehr verfälschen, als es wegen der Nichterfassung der betreffenden Einkünfte (und der folglich falschen Steuerfestsetzung) ohnehin schon der Fall ist. Der Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit gebietet also eine Verknüpfung von Steuerfestsetzung und Steueranrechnung (vgl. BFH, Urteil in BFH/NV 1995, 779).
Streng durchgeführt, würde diese Verknüpfung bedeuten, dass jede unzutreffende Berücksichtigung der Einkünfte bei der Veranlagung die volle Anrechnung der einbehaltenen Lohnsteuer auf die Einkommensteuerschuld ausschließt. Das liefe indes auf eine umfassende (Teil-)Korrektur der Steuerfestsetzung im Erhebungsverfahren hinaus. Der BFH hat bisher offen gelassen, ob er so weit gehen würde oder ob ihm eine "sachliche Korrespondenz" von Lohnsteuer und bei der Veranlagung erfassten Einkünften (was immer darunter im Einzelnen zu verstehen wäre) für die Anrechnung ausreicht.
Schon früher entschieden hat der BFH, dass eine Anrechnung von Lohnsteuer, die nach Beendigung der inländischen Steuerpflicht von im Ausland bezogenen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit zu Unrecht einbehalten worden war, geboten ist (BFH, Urteil BStBl II 2000, 581). Denn sonst werde das steuerlich zulasten des Steuerpflichtigen unrichtige Ergebnis noch vergrößert. Die für die Anrechnung erforderliche Korrespondenz von einbehaltener Lohnsteuer und bei der Veranlagung erfassten Einkünften soll insofern darin liegen, dass das FA den nach Beendigung der Steuerpflicht erzielten Teil der Einkünfte bei der Steuerfestsetzung bewusst außer Ansatz gelassen hat.
Hingegen will der BFH bei zu niedriger Schätzung von Einkünften denjenigen Teil der einbehaltenen Lohnsteuer, der auf die nicht erfassten Einkunftsteile entfiel, nicht anrechnen (BFH, Urteil in BFH/NV 1995, 779).
Im Entscheidungsfall hat der BFH wegen falscher steuerlicher Bewertung nicht bei der Gewinnfeststellung erfasste Gesellschaftereinkünfte ähnlich behandelt, also eine Anrechnung von Lohnsteuer versagt.
Ziehen Sie daraus für andere Sachverhaltsgestaltungen nur behutsam Folgerungen. Denn die Abgrenzung bleibt schwierig und dürfte vom BFH stark an Gerechtigkeitserwägungen orientiert werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.12.2000, VII R 69/99