Leitsatz
1. Zu den Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung bei § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 1 UStG.
2. Übernachtungs- und Verpflegungsleistungen, die ein gemeinnütziger Verein im Zusammenhang mit steuerfreien Seminaren erbringt, unterliegen gem. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG nicht dem ermäßigten Steuersatz.
Normenkette
§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG 2005, Art. 98 und Anhang III Nr. 15 MwStSystRL
Sachverhalt
Eine GmbH ohne eigenwirtschaftliche Zwecke (Gesellschaftszweck "Förderung der politischen und sozialen Bildung, insbesondere von Arbeitnehmern") veranstaltete hierzu Seminare. Sie bot auch Verpflegung und Beherbergung an und bezog diese Leistungen selbst von anderen Unternehmern. FA und FG (FG Münster, Urteil vom 15.3.2011, 15 K 3840/08 U, Haufe-Index 2685311, EFG 2011, 1574) versagten den Anspruch auf Steuerermäßigung für Unterbringung und Verpflegung.
Entscheidung
Die Revision hatte keinen Erfolg. Zweckbetrieb der Klägerin war im Streitfall der Bereich Beherbergung und Verpflegung, ohne Berücksichtigung der steuerfreien Unterrichtsleistungen. Auf die Frage, ob nach § 68 Nr. 8 AO ein oder mehrere Zweckbetriebe vorliegen, kam es zwar nicht an; für letzteres spricht der Wortlaut ("Zweckbetriebe sind auch …" und Nr. 8: "...; dies gilt auch ...") sowie die Rechtsprechung, wonach ihrer Art nach unterschiedliche Tätigkeiten grundsätzlich auch dann mehrere wirtschaftliche Geschäftsbetriebe sind, wenn die Tätigkeiten wirtschaftlich verflochten sind und sich gegenseitig bedingen. Der Zweckbetrieb der Klägerin diente auch vorrangig der Erzielung zusätzlicher Einnahmen, weil es sich um den einzigen Tätigkeitsgegenstand des Zweckbetriebs Beherbergung und Verpflegung handelte.
Erfolglos war der Einwand der Klägerin, sie sei nicht als Wettbewerber, sondern als Kunde am Markt für Beherbergungs- und Verpflegungsleistungen tätig, weil sie diese Leistung selbst "einkaufe". Welcher Art die Vorleistungen sind, die ein Zweckbetrieb zur Erbringung seiner eigenen Leistung beansprucht, ist unerheblich.
Hinweis
1.§ 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG lässt sich mit der unionsrechtlichen Ermächtigung nicht vereinbaren, denn er befreit alle Leistungen von gemeinnützigen Körperschaften i.S.d. AO, während das Unionsrecht eine Ermäßigung nur für Leistungen vorsieht, die von unionsrechtlich anerkannten gemeinnützigen Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit erbracht werden, soweit sie nicht gem. den Artikeln 132, 135 und 136 von der Steuer befreit sind. Selbst wenn sich die Einschränkung auf die Körperschaften und nicht auf die Leistungen bezöge, lässt sich damit das nationale Recht mit den nicht ohne Weiteres nachvollziehbaren Gemeinnützigkeitsvorstellungen (z.B. Motorsport, Hundesport) nicht vereinbaren. Eine richtlinienkonforme Auslegung ist wegen der ausdrücklichen Verweisung auf die §§ 51ff. AO insoweit nicht möglich.
2. Anders die Einschränkung in§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG, welche die – nur für Zweckbetriebe geltende – Ermäßigung weiter einschränkt und sie versagt, wenn "der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden": Diese Einschränkung ist spezifisch umsatzsteuerrechtlich und – weil sie eine Abweichung vom Regelsteuersatz einschränkt – richtlinienkonform weit auszulegen. Zusätzliche Einnahmen (nicht Gewinn) i.d.S. liegen bereits dann vor, wenn die Körperschaft diese für Leistungen erzielt, die für die Verwirklichung ihres steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecks nicht unerlässlich sind. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Inanspruchnahme der Steuerfreiheit (im Besprechungsfall § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 8.3.2012 – V R 14/11