Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
1. Wer eine fehlerfreie Steuererklärung abgegeben hat, begeht keine Steuerhinterziehung, wenn er in einem Folgejahr einen vom FA zu Unrecht bestandskräftig festgestellten Verlustvortrag geltend macht.
2. Hat das FA die erforderlichen Informationen durch die Steuererklärung erhalten, scheidet die Annahme einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen aus, weil der Steuerpflichtige nicht verpflichtet ist, Fehler des FA richtigzustellen.
3. Ein Veranlagungsfehler des FA ist kein Anlass für die Abgabe einer strafbefreienden Erklärung i.S.d. StraBEG vom 23.12.2003 (BGBl I 2003, 2928).
Normenkette
§ 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 370 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO, §§ 10d, 15, 18 EStG, § 1 Abs. 1 StraBEG
Sachverhalt
Ein Arzt wies in seinen Steuererklärungen für 1999 und 2000 positive Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit aus. Das FA erfasste die erklärten (positiven) Einkünfte des Jahres 1999 irrtümlich als negative Einkünfte. Dieser Eingabefehler führte unter Einbeziehung weiterer negativer Einkünfte des Klägers und seiner Ehefrau insgesamt zu einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte, sodass die Einkommensteuer für 1999 auf 0 DM festgesetzt wurde. Letztlich ergab sich eine gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31.12.1999.
Aufgrund der Steuererklärung für 2000 setzte das FA die Einkommensteuer unter Ansatz eines Verlustvortrags hinsichtlich der Einkünfte des Klägers aus selbstständiger Arbeit ebenfalls auf 0 DM fest und stellte den verbleibenden Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 EStG fest.
Auf der Grundlage dieser Bescheide setzte der Kläger im Mantelbogen der Einkommensteuererklärung für das Kalenderjahr 2001 in der Zeile 92 – Verlustabzug – ein Kreuz im Kästchen Stpfl./Ehemann, sodass die Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d EStG zum 31.12.2001 für ihn bejaht wurde. Dementsprechend kreuzte er auf dem Mantelbogen neben der Einkommensteuererklärung auch die Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags an. Weiter war angegeben, dass die Steuerpflichtigen mit einer Einkommensteuererstattung rechneten. Auf der Rückseite der Anlage VA zur Einkommensteuererklärung 2001 waren in den Zeilen 16/17 die Bescheiddaten des damals vorliegenden Verlustfeststellungsbescheids angegeben.
Auch die Einkommensteuer für 2001 wurde auf 0 EUR festgesetzt und ein verbleibender Verlustvortrag zum 31.12.2001 hinsichtlich der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit festgestellt.
Im Jahr 2004 ordnete das FA eine Außenprüfung für die Jahre 1999 bis 2001 an. Die Prüfung begann am 21.6.2004.
Zuvor gab der Kläger am 3.5.2004 eine strafbefreiende Erklärung für die Jahre 2000 und 2001 ab. Er gab die zu Unrecht nicht besteuerten Einnahmen i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StraBEG an und bezifferte die zu entrichtende Abgabe mit 25 % dieses Betrages. Zugleich teilte er mit, "dass ein Verlustvortrag aus 1999 in 2000 zu Unrecht in Anspruch genommen wurde und dieser weiterhin auch in 2001 in Anspruch genommen wurde, nachdem er zum 31.12.2000 irrtümlich festgestellt wurde".
Die strafbefreiende Erklärung für das Jahr 2000 nahm der Kläger zurück. Die strafbefreiende Erklärung für das Jahr 2001 lehnte das FA mit der Begründung ab, mangels einer Straftat könne der Kläger keine strafbefreiende Erklärung abgeben.
Die dagegen erhobene Klage wies das FG ab (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29.10.2009, 5 K 531/06, Haufe-Index 2315396, EFG 2010, 984).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des Klägers als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 StraBEG lägen nicht vor. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung kann auf die Praxis-Hinweise verwiesen werden.
Hinweis
1. Mit der Abgabe einer vollständigen und ordnungsgemäßen Steuererklärung hat der Steuerpflichtige seine Erklärungspflichten erfüllt. Weicht die aufgrund der zutreffend erklärten Tatsachen durchgeführte Veranlagung des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten vom geltenden Recht ab, ergeben sich aus dem Verfahrensrecht keine weiteren Erklärungspflichten.
Dies zeigt auch § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, der eine Erklärungspflicht im Anschluss an eine abgegebene Steuererklärung u.a. nur vorsieht, wenn diese Erklärung "unrichtig oder unvollständig" war. Fehlt eine solche Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit, bestehen keine Berichtigungs- oder Erklärungspflichten nach § 153 AO.
2. Unterläuft dem FA nach einer richtigen und vollständigen Steuererklärung ein Fehler zugunsten des Steuerpflichtigen, so begeht der Steuerpflichtige keine Steuerhinterziehung, wenn er den Fehler nicht richtigstellt und stattdessen Gebrauch von dem für ihn günstigen inhaltlich falschen, aber bestandskräftigen Bescheid macht.
a) Steuerhinterziehung in Form unrichtiger oder unvollständiger Angaben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) scheidet aus, wenn die Steuererklärung richtig und vollständig war.
b) Das kann sogar für die Steuererklärungen und Veranlagungen der Folgejahre fortwirken: Hat das FA z.B. nach einer richtigen und vollständigen Steuererklärung zu Unrecht, a...