Leitsatz
Es liegt nicht im Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen nachzuweisen, dass ein von ihm eingesetztes Kassenprogramm nachträgliche Änderungen verhindert. Dieser Nachweis ist vielmehr durch das Finanzamt zu führen. Zudem kann eine Zuschätzung von Umsätzen nicht allein aufgrund der Tatsache erfolgen, dass bei einer Überprüfung mit dem Chi-Quadrat-Test eine 100%ige Manipulationswahrscheinlichkeit ermittelt wurde.
Sachverhalt
Im Rahmen einer Betriebsprüfung bei einem Friseursalon bemängelte der Prüfer, dass die Kassenbuchführung in Form von Excel-Tabellen erfolgte und keine Kassenberichte vorlagen. Zudem hatte eine Überprüfung der Kassenbuchführung durch den Chi-Quadrat-Test eine 100%ige Manipulationswahrscheinlichkeit ergeben. Aus diesen Gründen erhöhte der Prüfer den Umsatz des Friseursalons im Schätzungswege. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Betreiberin des Salons hiergegen Klage.
Entscheidung
Das Gericht gab der Klage statt und lehnte eine Zuschätzung der Umsätze ab. Nach Auffassung des FG war das verwendete Kassenbuch formell ordnungsgemäß, da es eine jederzeitige Kassensturzfähigkeit gewährleistete. Ein sachlicher Mangel des Kassenprogramms, der Manipulationen oder Veränderungen ohne erkennbare Stornobuchungen ermöglicht, sei nicht nachgewiesen worden. Dieser Nachweis sei zudem nicht durch die Klägerin zu erbringen, sondern sei Aufgabe des Finanzamtes. Schließlich lehnte das Gericht eine Schätzungsbefugnis auf Basis des durchgeführten Chi-Quadrat-Testes ab, obwohl dieser eine Manipulationswahrscheinlichkeit von 100% ergab. Der Test basiert auf der Annahme, dass bei einer Manipulation des Kassenbuches unbewusst bestimmte Lieblingszahlen verwendet werden. Dadurch entsprechen die Zahlen des Kassenbuches nicht einer theoretisch zu erwartenden Häufigkeit. Im entschiedenen Fall ging das Gericht allerdings davon aus, dass die Abweichung der Zahlen des Kassenbuches zur theoretisch zu erwartenden Verteilung durch die sehr eingeschränkte Preisliste des Friseursalons verursacht wurde.
Hinweis
Das Urteil ist rechtskräftig. Die zunehmende Digitalisierung erleichtert der Finanzverwaltung die Überprüfung steuerrelevanter Daten mit Hilfe statistischer Testverfahren. Allein aufgrund des Anschlagens eines solchen Tests ist das Finanzamt aber nicht berechtigt, Zuschätzungen vorzunehmen. Statistische Verfahren basieren auf theoretisch zu erwartenden Häufigkeiten von Zahlen. In der Praxis können aber auch bei ordnungsgemäßer Buchführung abweichende Verteilungseigenschaften auftreten. Wird durch ein statistisches Überprüfungsverfahren eine hohe Manipulationswahrscheinlichkeit ermittelt, ist dies nur ein Indiz für das Vorliegen tatsächlicher Ungereimtheiten. Eine Hinzuschätzung kann daher erst dann erfolgen, wenn eine sachliche Unrichtigkeit tatsächlich nachgewiesen werden kann.
Link zur Entscheidung
FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24.08.2011, 2 K 1277/10