Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
1. Wer seine Einkommensteuererklärung jenseits der Fristen des § 149 Abs. 2 AO abgibt, kann sich, falls das FA vor Ablauf der Festsetzungsfrist keinen Einkommensteuerbescheid erlässt, nicht auf Treu und Glauben berufen, wenn er es selbst unterlässt, einen Untätigkeitseinspruch einzulegen oder jedenfalls einen Antrag auf Steuerfestsetzung zu stellen.
2. Der Untätigkeitseinspruch führt zu einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a AO.
Normenkette
§ 149 Abs. 2, § 169 Abs. 2, § 170 Abs. 2, § 171 Abs. 3, Abs. 3a, § 347 Abs. 1 Satz 2 AO
Sachverhalt
Der Sachverhalt ist in seiner Struktur schon aus den Praxis-Hinweisen bekannt. Die Eheleute K erzielten im Jahr 1998 Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit und aus Vermietung und Verpachtung. Sie reichten am 30.12.2004 die Einkommensteuererklärung für 1998 ein. Das FA veranlagte zunächst und erließ am 3.8.2006 einen Einkommensteuerbescheid, in dem es in einigen Punkten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung von der Erklärung abwich; der Steuerbescheid führte im Abrechnungsteil zu einer Steuererstattung zugunsten der Eheleute K. Diese machten mit Einspruch und Klage noch höhere negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung geltend. Im Klageverfahren berief sich das FA mit Erfolg auf Verjährung. Das FG wies die Klage ab (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.5.2011, 14 K 3279/06 B, Haufe-Index 2979049).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Vorinstanz und wies die Revision der Eheleute K als unbegründet zurück.
Hinweis
Wie alle schwerpunktmäßig im Verfahrensrecht liegenden Fälle kann man die Ausführungen nur verstehen, wenn man die Abfolge der Ereignisse in den Blick nimmt. K gibt seine Einkommensteuererklärung für 1998 erst am 30. 12. 2004 ab. Das FA veranlagt zunächst und erlässt im Jahre 2006 einen Einkommensteuerbescheid. Erst im Klageverfahren beruft es sich auf Verjährung. Zu Recht?
1. Die Festsetzungsfrist lief nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO am 31.12.2005 ab. Die Steuer war also bereits durch Verjährung erloschen (§ 47 AO), als das FA den Einkommensteuerbescheid erließ. Eine verlängerte Erklärungsfrist nach § 109 AO hilft K nicht; denn eine Fristverlängerung – wenn sie denn vorgenommen wurde – bewirkt keine zusätzliche Anlaufhemmung. Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist nämlich spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Das ist hier das Jahr 2001, sodass die Festsetzungsfrist spätestens mit Ablauf des 31.12.2001 beginnt – und darum am 31.12.2005 endet.
2. Eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO ist nicht eingetreten. Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung ist nach einhelliger Auffassung, die der BFH teilt, kein Antrag i.S.d. § 171 Abs. 3 AO.
3. Da das FA aber eine relativ lange Zeit mit der Veranlagung zugewartet hat, fragt es sich, ob sich K auf Treu und Glauben berufen kann. Indes hätte K hier selbst aktiv werden müssen. Er hätte nämlich Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO einlegen können und müssen, um die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a AO zu erreichen. Gegenstand eines derartigen Einspruchs ist die Untätigkeit des FA.
4. Der BFH zeigt aber noch einen anderen Weg auf: K hätte auch den Antrag auf Veranlagung nach § 171 Abs. 3 AO stellen können, nachdem er seine Einkommensteuererklärung eingereicht hatte, das FA sich aber innerhalb der Festsetzungsfrist nicht rührte. Wenn er aber gar nichts tut und – obschon er nicht innerhalb der Fristen seine Erklärung abgegeben hatte – einfach nur abwartet, kann er sich nicht auf Treu und Glauben berufen, zumal dieser Grundsatz nicht bewirkt, einen durch Verjährung bereits erloschenen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis wieder erstehen zu lassen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.1.2013 – IX R 1/12