Leitsatz
1. Es bestehen keine Zweifel an der Gültigkeit der Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 betreffend Einfuhren von Silicium-Metall mit Ursprung in der Volksrepublik China.
2. Ein Wirtschaftsteilnehmer kann sich bezüglich der Gültigkeit einer Antidumpingverordnung nicht darauf berufen, dass deren Vorschriften gegen WTO-Übereinkommen (hier: den WTO-Antidumpingkodex) verstoßen, wenn das Land, aus dem die gedumpten Einfuhren stammen, nicht WTO-Mitglied ist.
Normenkette
VO Nr. 2423/88, Art. 2 Abs. 5, Art. 13 Abs. 11 VO Nr. 2200/90, VO Nr. 1607/92, Art. 6 Abs. 9, Art. 11 Abs. 2, Art. 11 Abs. 5, Art. 2 Abs. 7 VO Nr. 384/96, VO Nr. 2496/97, GATT-Antidumpingkodex 1979, Art. 15 GATT-Subventionskodex, WTO-GATT-Antidumpingkodex 1994
Sachverhalt
Silizium aus der Volksrepublik China war 1996 bis 1998 mit unrichtigen Präferenznachweisen zum freien Verkehr angemeldet worden. Als das HZA das bemerkte, erhob es u.a. Antidumpingzoll nach. Der Zollanmelder berief sich demgegenüber auf die Nichtigkeit der einschlägigen Antidumpingverordnungen; die Volksrepublik sei ermessensfehlerhaft als ein Land ohne Marktwirtschaft angesehen und bei der Ermittlung des Normalwerts Norwegen als Vergleichsland gewählt worden, was gegen Art. 2 Abs. 2 Antidumpingkodex 1994 verstoße.
Entscheidung
Die Nacherhebung ist zu Recht erfolgt. Die Antidumpingverordnungen sind nicht nichtig. Sie stützen sich auf die Grundverordnungen und stehen im Einklang mit ihnen. Auf eine etwaige Verletzung von WTO-Recht kann sich der Importeur nicht berufen, weil China nicht WTO-Mitglied war und daher die Annahme ausscheidet, die Gemeinschaft habe mit den Antidumpingverordnungen eine China gegenüber bestehende Verpflichtung erfüllen wollen; dies aber wäre Voraussetzung dafür, dass sich der Importeur auf WTO-Recht berufen kann.
Hinweis
Eine Ware gilt als Gegenstand eines Dumpings, wenn ihr Ausfuhrpreis nach der Gemeinschaft geringer ist als der Normalwert der gleichartigen Ware. Dagegen können (Antidumping-)Zölle festgesetzt werden. Grundlage hierfür sind – im Streitfall – die Grundverordnungen der EG Nr. 2423/88 bzw. Nr. 384/96.
Bei Waren aus einem Land ohne Marktwirtschaft und nicht feststellbaren Preisen oder Kosten der Hersteller gleichartiger Waren in einem Drittland mit Marktwirtschaft darf der Normalwert auf der Grundlage des in der Gemeinschaft für die gleichartige Ware zu zahlenden Preises ermittelt werden.
Im GATT sind Vorschriften getroffen worden, unter welchen Voraussetzungen handelspolitische Schutzmaßnahmen gegen gedumpte Einfuhren zulässig sind (vgl. Artikel VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens – Antidumpingkodex 1979 bzw. Antidumpingkodex 1994 –, ABlEG 1994 Nr. L 336/103 sowie den Subventionskodex, ABlEG 1980 Nr. L 71/72). Diese völkerrechtlichen Vereinbarungen verpflichten zwar die Gemeinschaft; es handelt sich aber nicht etwa schlicht um höherrangiges Recht in dem Sinn, dass es im Rang über dem sekundären Gemeinschaftsrecht stünde und sich folglich jedermann auf seine Verletzung berufen könnte (auch wenn dies so darzustellen immer wieder versucht worden ist).
Allerdings hat der EuGH – mit einer etwas merkwürdig anmutenden Art Selbstverpflichtungstheorie – in gewissem Umfang die Berufung auf Völkerrecht für den Einzelnen ermöglicht: Wenn die Gemeinschaftsorgane eine bestimmte im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung erfüllen "wollen" oder wenn die Gemeinschaftshandlung ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte verweist, soll die Rechtmäßigkeit der Gemeinschaftshandlung an den WTO-Regeln zu messen sein. Denn dann würden die völkerrechtlichen Bestimmungen durch einen ausdrücklichen Akt des Gemeinschaftsgesetzgebers in das Gemeinschaftsrecht implementiert und stünden folglich (?) im Rang über dem sekundären Gemeinschaftsrecht.
Indes: Die Grundverordnungen sollten zwar die sich aus WTO-Übereinkünften ergebenden internationalen Verpflichtungen der Gemeinschaft "implementieren". Die Antidumpingverordnungen, soweit sie China betreffen, aber nicht: denn die Volksrepublik China war damals (noch) gar nicht Mitglied der WTO; kann man dann annehmen, die Gemeinschaft wolle eine Verpflichtung gegenüber China ins Gemeinschaftsrecht umsetzen, obwohl doch eine solche gar nicht bestand? Das hält der BFH für ausgeschlossen. Er verweist dafür auch darauf, dass das Urteil in EuGHE 2005, I-1465 dem Streitbeilegungssystem der WTO grundsätzlich Vorrang vor einer Rechtmäßigkeitsprüfung von Gemeinschaftshandlungen durch Gemeinschaftsgerichte einräumt; wenn aber sogar die Volksrepublik China mangels Mitgliedschaft in der WTO keine Möglichkeit hatte, die Einleitung eines gegen die Gemeinschaft gerichteten Streitbeilegungsverfahrens gem. WTO-Recht zu beantragen, so könne erst recht nicht einem einzelnen Marktbürger die rechtliche Möglichkeit eingeräumt werden, eine gegen Einfuhren aus der Volksrepublik China gerichtete Antidumpingverordnung auf ihre Vereinbarkeit mit dem Antidumpingkodex gerichtlich prüfen zu lassen.
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