Leitsatz
Die Regelungen des ErbStG i.d.F. des WBG 2009 betreffend den Erwerb von Privatvermögen und den Steuersatz sind über den 30.6.2016 hinaus weiter anwendbar.
Normenkette
§ 19 ErbStG, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Die Klägerin ist Alleinerbin nach ihrer am 28.8.2016 verstorbenen Tante. Der erbschaftsteuerpflichtige Erwerb bestand aus Privatvermögen. Das FA setzte unter Anwendung eines Steuersatzes von 15 % für die Steuerklasse II nach § 19 Abs. 1 ErbStG i.d.F. des Art. 6 WBG 2009 ErbSt fest. Einspruch und Klage, die die Klägerin mit verfassungsrechtlichen Einwendungen begründete, blieben erfolglos (FG Köln, Urteil vom 8.11.2018, 7 K 3022/17, Haufe-Index 12818481, EFG 2019, 455).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision der Klägerin als unbegründet zurück. Die Festsetzung der ErbSt wegen des Erwerbs von Todes wegen gegen die Klägerin sei unter Berücksichtigung der in den Praxis-Hinweisen dargelegten Erwägungen rechtmäßig und verfassungskonform.
Hinweis
1. Das BVerfG hat mit Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12 (BFH/NV 2015, 301, BStBl II 2015, 50, Haufe-Index 7505781) entschieden, dass §§ 13a und 13b ErbStG i.d.F. des ErbStRG vom 24.12.2008 (BGBl I 2008, 3018) jeweils i.V.m. § 19 Abs. 1 ErbStG i.d.F. der Bekanntmachung vom 27.2.1997 (BGBl I 1997, 378), auch in den seither geltenden Fassungen, mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind. Es tenorierte außerdem: "Das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 30.6.2016 zu treffen."
2. Nach § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG 2016 (eingefügt durch Art. 1 Nr. 10 ErbStAnpG 2016 vom 4.11.2016, BGBl I 2016, 2464) finden die §§ 10, 13a bis 13d, 19a, 28 und 28a ErbStG 2016 auf Erwerbe Anwendung, für die die Steuer nach dem 30.6.2016 entsteht. Das ErbStAnpG 2016 trat gemäß seinem Art. 3 mit Wirkung vom 1.7.2016 in Kraft.
3. Durch dieses Gesetz inhaltlich nicht geändert wurden §§ 1, 2, 3, 9 ff., 13, 16, 19 ErbStG, die in dem vom BFH entschiedenen Fall angewendet wurden.
a) Die Regelungen des ErbStG i.d.F. des Art. 6 WBG 2009 vom 22.12.2009 (BGBl I 2009, 3950) waren somit im Hinblick auf den Erwerb von Privatvermögen sowie den zugrunde zu legenden Steuersatz über den 30.6.2016 hinaus anwendbar, ohne durch eine spätere rückwirkende Regelung ersetzt zu werden.
b) Darin liegt kein Verstoß gegen das BVerfG-Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12 (BFH/NV 2015, 301, BStBl II 2015, 50). Die Anordnung des BVerfG, das bisherige Recht bleibe bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar, ist eine unbefristete Fortgeltungsanordnung. Die vom BVerfG gesetzte Frist bis zum 30.6.2016 bezieht sich lediglich auf die Verpflichtung des Gesetzgebers, eine Neuregelung zu schaffen, und ändert an der Wirksamkeit der Fortgeltungsanordnung auch dann nichts, falls die Neuregelung pflichtwidrig nicht oder verspätet geschaffen wird. Von anderen Regelungsmöglichkeiten wie etwa der Befristung der Fortgeltungsanordnung bis zu einem bestimmten Datum hat das BVerfG keinen Gebrauch gemacht.
4. Der BFH war auch nicht von der Verfassungswidrigkeit der angewandten Normen des materiellen Rechts überzeugt. Es liegt weder ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen das rechtsstaatliche Gebot der Bestimmtheit und Klarheit vor. Im Besteuerungszeitpunkt war keine erbschaftsteuerrechtliche Überbegünstigung des Betriebsvermögens zu verzeichnen. Eine Vorlage des Rechtsstreits an das BVerfG kam daher nicht in Betracht.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 6.5.2021 – II R 1/19