Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Ein verbleibender Verlustvortrag kann nach Ablauf der Feststellungsfrist nicht mehr gesondert festgestellt werden, wenn der Steuerpflichtige in den bereits festsetzungsverjährten Veranlagungszeiträumen, in die der Verlust nach § 10d Abs. 2 EStG hätte vorgetragen werden müssen, über zur Verlustkompensation ausreichende Gesamtbeträge der Einkünfte verfügt.
Normenkette
§ 10d Abs. 1 und Abs. 2 EStG 2002, § 169 Abs. 2, § 170 Abs. 2, § 171 Abs. 3, Abs. 3a, § 181 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 AO
Sachverhalt
Der Sachverhalt ergibt sich zum Teil bereits aus den Praxis-Hinweisen. Die Feststellungsfrist des letzten Verlustentstehungsjahres (1999) endete mit Ablauf des Jahres 2006. In den Jahren 1999 bis 2002 erzielte unser Pilot K positive Gesamtbeträge der Einkünfte. Bei Erlass des Ablehnungsbescheids im Januar 2008 waren aber auch diese Jahre schon festsetzungsverjährt. Die Rechtsbehelfe gegen den Ablehnungsbescheid blieben insoweit erfolglos, auch beim BFH.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision (FG München, Urteil vom 20.07.2010, 2 K 2868/08, Haufe-Index 2387186, EFG 2010, 1889) als unbegründet zurück. Eine gesonderte Feststellung des Verlustvortrags durfte nach § 181 Abs. 5 AO im Januar 2008 nicht mehr erfolgen: Der Verlust konnte und musste nach § 10d Abs. 2 EStG in die Jahre bis 2002 vorgetragen werden: denn in diesen Jahren stand soviel Gesamtbetrag der Einkünfte zur Verfügung, um den Verlust insgesamt zu kompensieren. Da für diese Jahre aber bereits die Festsetzungsfrist abgelaufen war und ein Feststellungsbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich des FA verlassen haben muss, war der Ablehnungsbescheid rechtmäßig. Das verstieß auch nicht gegen Treu und Glauben. Selbst wenn es dem FA möglich gewesen wäre, wegen der im Antragszeitpunkt noch offenen Veranlagung 2002 einen Feststellungsbescheid zu erlassen, hatte das FA im Streitfall im Einvernehmen mit K die Bearbeitung zunächst zurückgestellt. Wenn K dann später wieder die Aufnahme des Verfahrens begehrt, das FA hierauf aber nicht reagiert, hätte er einen Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 S. 2 AO einlegen müssen, um die Wirkungen des § 171 Abs. 3a AO zu erreichen. Daran fehlte es hier.
Hinweis
Wenn jemand in den Jahren 1997 bis 1999 eine kostspielige Ausbildung durchführt (z.B. als Pilot) und in den darauf folgenden Jahren im ausgebildeten Beruf arbeitet, stellt sich die Frage, ob er die Ausbildungskosten als Erwerbsaufwand im Verfahren über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags geltend machen kann. Die Aufwendungen erklärte er erst im Mai 2006, nach Ergehen der Rechtsprechung zum erweiterten Abzug von Fortbildungsaufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten. Das FA lehnte im Januar 2008 die Durchführung von Feststellungsverfahren ab.
1. Nehmen wir an, die Feststellungsfrist ende für das Jahr 1999 am 31.12.2006 (für die Jahre 1997 und 1998 schon 2004 und 2005). Besteht eine Ablaufhemmung?
- Nicht nach § 171 Abs. 3a AO (i.V.m. § 181 Abs. 1 AO), denn der Ablehnungsbescheid ist im Januar 2008 nach dem Ablauf der Feststellungsfrist erlassen worden.
- Auch nicht nach § 171 Abs. 3 AO (i.V.m. § 181 Abs. 1 AO). Denn kein "Antrag auf Steuerfestsetzung" in diesem Sinne ist die gesetzlich vorgeschriebene Steuererklärung. Für die gesonderte Feststellung nach § 10d Abs. 4 EStG besteht hingegen Erklärungspflicht.
2. Es fragt sich, ob auch nach Ablauf der Feststellungsfristen gesonderte Feststellungsbescheide über den verbleibenden Verlustvortrag ergehen können. Das richtet sich gem. § 181 Abs. 5 AO danach, ob die Feststellung für eine Steuerfestsetzung noch von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Wenn nach der Bedeutung gefragt wird, so ist dies materiell-rechtlich zu verstehen. § 10d Abs. 2 EStG bestimmt die Art und Weise des Verlustvortrags, aber auch das Verhältnis zum Verlustrücktrag und zum Verlustvortrag früherer Veranlagungszeiträume: Verluste konnten in vorangegangenen Veranlagungszeiträumen insoweit nicht abgezogen werden, als in diesen Jahren kein positiver Gesamtbetrag der Einkünfte gebildet wurde oder die (positiven) Gesamtbeträge der Einkünfte zur Verlustkompensation nicht ausreichten.
3. Dagegen ist unerheblich, ob es verfahrensrechtlich möglich war, die Verluste zu berücksichtigen. Auch wenn für diesen Veranlagungszeitraum bereits die Festsetzungsfrist abgelaufen und eine Änderung des ESt-Bescheides verfahrensrechtlich (nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO) nicht mehr möglich war, ändert das nichts daran, dass die Verluste dort nach § 10d Abs. 2 EStG abgezogen werden konnten und auch mussten.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 29.06.2011 – IX R 38/10