Leitsatz
Eine grenzüberschreitende Verrechnung von Verlusten einer ausländischen Tochtergesellschaft bei der inländischen Muttergesellschaft setzt voraus, dass die "Organschaft" zuvor in dem Sinne faktisch "gelebt" worden ist, dass die von der Tochtergesellschaft erwirtschafteten Verluste von der Muttergesellschaft nach den Vorgaben der anzuwendenden nationalen Regelungen tatsächlich getragen worden sind.
Normenkette
§ 14 Abs. 1 Satz 1, § 17 Satz 1 Nr. 2 KStG, § 291 Abs. 1 AktG, Art. 49, Art. 54 AEUV, § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine GmbH mit Sitz im Inland. Sie war alleinige Gesellschafterin der … s.a.r.l. mit Sitz in Frankreich.
Die s.a.r.l. erzielte seit Jahren Verluste (Verlustvortrag zum 31.12.2011: … EUR). Im Jahr 2012 (Streitjahr) erwirtschaftete sie einen Verlust von … EUR.
Bereits im Jahr 2011 wurde entschieden, den Geschäftsbetrieb der s.a.r.l. einzustellen; der Gesellschafterbeschluss vom 30.10.2012 sah die Auflösung der s.a.r.l. mit Wirkung zum 31.10.2012 ohne Liquidation durch Übertragung ihres Vermögens als Ganzes auf die Klägerin im Wege einer Transmission Universelle de Patrimoine (TUP) gemäß Art. 1844‐5 des französischen Code Civil vor. Am 25.1.2013 wurde die s.a.r.l. mit Wirkung zum 31.10.2012 im französischen Handelsregister gelöscht.
Die Klägerin hatte die s.a.r.l. bis zur tatsächlichen Einstellung des aktiven Geschäftsbetriebes mit Waren beliefert. Zu den Forderungen aus den Warenlieferungen ergriff die Klägerin keine Beitreibungsmaßnahmen gegenüber der s.a.r.l., obwohl diese keine Zahlungen leistete. Allerdings nahm die Klägerin Wertberichtigungen auf die Forderungen vor. Im Jahresabschluss zum 31.12.2009 erfolgte eine Wertberichtigung i.H.d. von der s.a.r.l. bilanzierten (nicht durch Eigenkapital gedeckten) Fehlbetrags. Zum 31.12.2010 schrieb die Klägerin die noch bilanzierten Forderungen mit der Begründung in voller Höhe ab, dass der Geschäftsbetrieb der s.a.r.l. eingestellt werden solle. Auch in den Jahren 2011 und 2012 lieferte die Klägerin noch Waren an die s.a.r.l.; die Forderungen wurden von der Klägerin zum jeweiligen Jahresende mit derselben Begründung in voller Höhe abgeschrieben. Kumuliert nahm die Klägerin bis zum 31.12.2011 Forderungsabschreibungen in einer Gesamthöhe von … EUR vor, die ihrem Gewinn außerbilanziell jeweils wieder hinzugerechnet wurden.
Im Rahmen ihrer Gewinnermittlung für 2011 brachte die Klägerin den von der s.a.r.l. im Jahr 2011 erwirtschafteten Verlust i.H.v. … EUR in Abzug und gab eine entsprechende KSt-Erklärung ab, auf deren Grundlage sie zunächst erklärungsgemäß veranlagt wurde. Im Rahmen einer Außenprüfung stellte sich der Prüfer allerdings auf den Standpunkt, dass eine Verlustverrechnung nicht erfolgen könne. Es erging unter dem 27.2.2014 ein entsprechend geänderter KSt-Bescheid für 2011. Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin dagegen Klage vor dem FG. Auf den Hinweis des Berichterstatters, dass eine Verlustberücksichtigung allenfalls 2012 in Betracht komme, beantragten die Beteiligten übereinstimmend, das Klageverfahren ruhen zu lassen. Das FG folgte dem mit Beschluss vom 27.2.2017.
In ihrer KSt- und GewSt-Erklärung für das Streitjahr 2012 hatte die Klägerin eine Verrechnung des von der s.a.r.l. in diesem Jahr erwirtschafteten Verlustes i.H.v. … EUR vorgenommen. Diesen berücksichtigte das FA in den am 27.3.2014 ergangenen Bescheiden über die KSt 2012 und den GewSt-Messbetrag 2012 nicht; diese Bescheide wurden am 14.5.2018 insbesondere bezogen auf die steuerliche Erfassung eines Konfusionsgewinns im Zusammenhang mit der Übertragung des Vermögens der s.a.r.l. auf die Klägerin geändert.
In seiner Teil-Einspruchsentscheidung vom 18.6.2018, in der über die Steuerpflicht des Konfusionsgewinns nicht entschieden wurde, vertrat das FA die Auffassung, die Verrechnung der Verluste der s.a.r.l. auf Ebene der Klägerin komme weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht in Betracht.
Ihre Klage, mit der die Klägerin die Berücksichtigung der bis 2012 bei der s.a.r.l. kumulierten operativen Verluste i.H.v. … EUR (… EUR Verlustvortrag auf den 31.12.2011 zuzüglich … EUR Verlust des Streitjahres) im Rahmen der Gewinnermittlung des Streitjahres begehrte, hatte keinen Erfolg (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 13.3.2019, 1 K 218/15, Haufe-Index 13369619, EFG 2019, 1466).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Die Gründe dafür sind den Praxis-Hinweisen zu entnehmen.
Hinweis
1. Das Urteil betrifft eine Grundsatzfrage der Organschaftsbesteuerung, die seit vielen Jahren streitig diskutiert wird. Der BFH hat mit der Besprechungsentscheidung einen Teilaspekt der Problematik geklärt und hierbei eine Mindestanforderung für die grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung formuliert.
2. Ob die deutschen Organschaftsregelungen dem Unionsrecht entsprechen, ist eine offene Frage. Problematisch ist insbesondere, dass einzelne Organschaftsvoraussetzungen einen Inlandsbezug aufweisen, der "praktisch" dazu führt...