Leitsatz
1. Wer einen Subventionsbetrug begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet nicht nach § 71 AO für die zu Unrecht gewährte Investitionszulage (Änderung der Senatsrechtsprechung).
2. Ein deliktischer Schadenersatzanspruch nach § 823 Abs. 2, § 830 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 264 Abs. 1 Nr. 1, § 27 StGB kann nicht mittels eines Haftungsbescheids nach § 191 Abs. 1 AO geltend gemacht werden.
Normenkette
§ 7 Abs. 1 Satz 1, § 9 InvZulG (1993), § 3 Abs. 1, § 71, § 191, § 370 AO, § 264 Abs. 1 Nr. 1, § 27 StGB, § 823 Abs. 2, § 830 BGB
Sachverhalt
Der W‐GmbH war für 1994 zu Unrecht eine Investitionszulage von 520.000 DM auf eine Anzahlung von 6,5 Mio. DM gewährt worden. Nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über ihr Vermögen meldete das FA den Anspruch auf Rückzahlung zum Forderungsverzeichnis an. Der Anspruch wurde festgestellt, aber Zahlungen erfolgten nicht.
Nachdem gegen den Kläger ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen Beihilfe zum Subventionsbetrug (§ 264 Abs. 1 Nr. 1, § 27 StGB) ergangen war, nahm das FA ihn nach § 71 AO wegen Beihilfe zum Subventionsbetrug in Höhe von 520.000 DM in Haftung. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Das Sächsische FG wies die Klage in Übereinstimmung mit der langjährigen BFH-Rechtsprechung ab (Urteil vom 24.6.2009, 4 K 2207/04, Haufe-Index 2350926, EFG 2011, 691).
Entscheidung
Die Revision hatte Erfolg: Der BFH hob den Haftungsbescheid, die Einspruchsentscheidung und das FG-Urteil auf.
Hinweis
1. Täter und Teilnehmer einer Steuerhinterziehung haften nach § 71 AO für die verkürzten Steuern und zu Unrecht gewährte Steuervorteile. Wer durch vorsätzlich falsche Angaben Investitionszulage erlangt, begeht keine Steuerhinterziehung, sondern Subventionsbetrug. Der BFH hatte die Haftung nach § 71 AO aber auf diese Fälle erstreckt und das mit den in allen InvZulG enthaltenen Gesetzesverweisungen auf die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der AO begründet. Diese Verweisungen umfassten auch die Haftungsvorschriften, sodass Subventionsbetrug im Rahmen des § 71 AO wie Steuerhinterziehung zu behandeln sei.
2. Davon ist der BFH jetzt abgerückt. Die "Erschleichung" einer Investitionszulage ist nach dem Wortsinn keine Steuerhinterziehung, denn die Investitionszulage ist keine Steuer i.S.d. § 3 Abs. 1 AO, sondern eine Subvention. Sie wird auch nicht – wie z.B. das Kindergeld durch § 31 Satz 3 EStG – als Steuervergütung qualifiziert. Die Verweisungen der InvZulG auf die AO regeln nur das Investitionszulageverfahren (ebenso BGH, Urteil v. 6.6.2007, 5 StR 127/07, HFR 2007, 1157, zur Eigenheimzulage) einschließlich der Ermittlungszuständigkeit der Finanzbehörden nach §§ 385ff. AO. Der Gesetzgeber hat auch – im Gegensatz zu anderen Zulagen- und Prämiengesetzen – bewusst davon abgesehen, im InvZulG eine entsprechende Anwendung des § 370 AO anzuordnen, weil die Investitionszulage unter dem strafrechtlichen Schutz des § 264 StGB steht.
3. Das Urteil begründet umfangreich, warum auch eine analoge Anwendung des § 71 AO ausscheidet. Nicht angesprochen wird das Problem, dass Subventionsbetrug nicht nur durch falsche Angaben gegenüber dem FA begangen werden kann, sondern auch durch eine Verwendung des subventionierten Gegenstands, die dem Subventionszweck widerspricht (§ 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Da die Investitionszulage den Verbleib der geförderten Wirtschaftsgüter im Fördergebiet voraussetzt, könnten durch eine Gleichsetzung von Subventionsbetrug und Steuerhinterziehung im Hinblick auf § 71 AO z.B. zahlreiche Arbeitnehmer, die "produktiv" tätig sind und keine steuerlichen Aufgaben wahrnehmen, durch Verwendung der geförderten Wirtschaftsgüter in den alten Bundesländern in die Strafbarkeit und damit auch in die Haftung für zurückzufordernde Investitionszulage geraten.
4. Das Urteil lässt die Frage offen, ob ein vom FA "falsch" begründeter Haftungsbescheid gleichwohl rechtmäßig ist, wenn eine andere Haftungsgrundlage erfüllt wäre. Anders formuliert: Müssten das FG oder der BFH die unzutreffende gegen die richtige Haftungsgrundlage austauschen?
Wer an einem Subventionsbetrug teilnimmt, ist dem FA wegen sog. Schutzgesetzverletzung zivilrechtlich zum Schadenersatz verpflichtet (§ 823 Abs. 2, § 830 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 264 Abs. 1 Nr. 1, § 27 StGB). Gesetzliche Haftungsansprüche i.S.d. § 191 AO können sich auch aus dem Zivilrecht ergeben. Die Normen, für die dies anerkannt ist (z.B. § 25, § 128 HGB, § 419 BGB), begründen aber durchweg eine Einstandspflicht für anderweitig entstandene (Steuer-)Schulden. Deliktische Schadensersatzansprüche können dagegen nicht durch einen Haftungsbescheid geltend gemacht werden, weil sie sich auf den Ersatz eines Schadens richten, der hier "nur zufällig" in der unrechtmäßig ausgezahlten Zulage besteht. Außerdem bestimmt sich der Haftungsumfang bei ihnen nicht danach, inwieweit (wie bei § 71 AO) das strafrechtlich erhebliche Verhalten oder (wie bei § 69 AO) die Pflichtverletzung für den Steuerausfall ursächlich ist, sondern nach zivilrechtlichen Re...