Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Ein Arbeitnehmer (Beamter), der von seinem Arbeitgeber für drei Jahre an eine andere als seine bisherige Tätigkeitsstätte abgeordnet oder versetzt wird, begründet dort keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 1 ff. EStG
Sachverhalt
K, Finanzbeamter, war zunächst ab 1.8.1993 vom Finanzamt B an die Landesfinanzschule L abgeordnet, befristet "bis längstens 31.7.1996". Am 22.10.1993 wurde K "aus dienstlichen Gründen" ab 1.11.1993 vom Finanzamt B an die L mit dem Hinweis versetzt, nach derzeitigem Stand sei eine Verwendung bei der L bis zum 31.7.1996 vorgesehen. Am 22.5.1997 bestätigte die OFD, dass K ab 1.4.1997 für die Dauer von drei Monaten von L an das FA B mit der Absicht abgeordnet sei, ihn mit sofortiger Wirkung dorthin zu versetzen. K machte für 1996 und 1997 seine Fahrtkosten zwischen der Wohnung in B und L nicht als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, sondern als Reisekosten geltend. Nachdem dies das FA abgelehnt hatte, wies auch das FG die Klage dagegen ab (Niedersächsisches FG, Urteil vom 22.8.2012, 3 K 293/11, Haufe-Index 3546602).
Entscheidung
Der BFH beurteilte L nicht als regelmäßige Arbeitsstätte und hob daher aus den unter den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen die Vorentscheidung auf und gab Ks Klage statt.
Hinweis
Das Besprechungsurteil hier und das nachstehende Urteil (VI R 59/12) beschäftigen sich jeweils mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen in Fällen einer Umsetzung im weitesten Sinne der Arbeitnehmer an der ihm von seinem Arbeitgeber neu zugewiesenen Tätigkeitsstätte eine regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG begründet.
1. Eine Auswärtstätigkeit liegt bekanntlich dann vor, wenn der Arbeitnehmer vorübergehend außerhalb seiner Wohnung und seiner regelmäßigen Arbeitsstätte beruflich tätig wird. Auf die Urteile des Lohnsteuersenats und die Besprechungen dazu wird verwiesen (Verpflegungsmehraufwand bei Leiharbeitnehmer: BFH, Urteil vom 15.5.2013, VI R 41/12, BFH/NV 2013, 1481, BFH/PR 2013, 337; längerfristiger Einsatz im Betrieb des Kunden des Arbeitgebers: vom 13.6.2012, VI R 47/11, BFH/NV 2012, 1861, BFH/PR 2012, 385; Kunde des Arbeitgebers: vom 10.7.2008, VI R 21/07, BFH/NV 2008, 1923, BFH/PR 2008, 497). Insbesondere wird eine vorübergehende Tätigkeitsstätte nicht durch bloßen Zeitablauf zum Tätigkeitsmittelpunkt und zur regelmäßigen Arbeitsstätte des Arbeitnehmers (BFH/PR 2008, 497). Entscheidend ist vielmehr, dass der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer der fraglichen Tätigkeitsstätte dauerhaft zugeordnet hat.
2. Ob der Arbeitnehmer dauerhaft an den neuen Beschäftigungsort entsandt wurde und dort eine (neue) regelmäßige Arbeitsstätte begründet hat, ist naturgemäß nach den Gesamtumständen des Einzelfalls zu beurteilen. Entscheidend sind insbesondere die der Auswärtstätigkeit zugrunde liegenden Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Auf deren Grundlage ist aus der ex ante-Perspektive zu beurteilen, ob der Arbeitnehmer voraussichtlich an seine regelmäßige Arbeitsstätte zurückkehren und dort seine berufliche Tätigkeit fortsetzen wird.
Beachten Sie: Das ab 2014 geltende neue steuerliche Reisekostenrecht (§ 9 Abs. 4 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 20.2.2013, BGBl I 2013, 285) mit der zeitlichen Obergrenze für die Annahme einer vorübergehenden Auswärtstätigkeit gilt hier noch nicht.
3. Der BFH nimmt im Streitfall die Beurteilung nach den Gesamtumständen des Einzelfalls auf Grundlage der Abordnungs- und Versetzungsverfügungen vor: Danach war Ks Verwendung vorübergehend. Der BFH differenziert für Zwecke des einkommensteuerrechtlichen Reisekostenrechts insbesondere nicht nach den beamtenrechtlichen Kategorien der Abordnung einerseits und der Versetzung andererseits. Denn sämtliche Verfügungen – ungeachtet ihrer Bezeichnung – hatten Ks Verwendung in L jeweils auf drei Jahre befristet und damit nur vorübergehend vorgesehen. Auf dieser Grundlage verneinte der BFH die regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG; K war in L auswärts tätig.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 8.8.2013 – VI R 72/12