Leitsatz
Das Finanzamt darf Fehler nicht nach § 177 AO zu Lasten des Steuerpflichtigen saldieren, wenn es nur eine zuvor durchgeführte Änderung (z. B. Streichung eines bisher in einem Einkommensteuerbescheid abgezogenen Verlustvortrages) rückgängig macht. Darüber hinaus muss das Finanzamt im Rahmen der Beratungspflicht nach § 89 AO auf die Möglichkeit hinweisen, einen Antrag auf Begrenzung des Verlustrücktrags nach § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG zu stellen. Ein solcher Antrag ist insbesondere dann sinnvoll, wenn für eine Reduzierung der Einkommensteuer auf 0 Euro nicht das gesamte Verlustvolumen benötigt wird.
Sachverhalt
Ein Steuerpflichtiger mit diversen gewerblichen KG-Beteiligungen und Einkünften aus Vermietung und Verpachtung erhielt wegen häufiger Änderung der Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 2002 - 2005 eine Vielzahl von Einkommensteuer- und Verlustfeststellungsbescheiden. Zuletzt eliminierte das Finanzamt in einem (während eines Einspruchsverfahrens) ergangenen Änderungsbescheid für 2005 einen bisher aus 2004 vorgetragenen Verlustabzug. Allerdings hätte der Verlustvortrag richtigerweise in Höhe eines Teilbetrages von 7.397 Euro bestehen bleiben müssen. In einem weiteren (während des Einspruchsverfahrens) ergangenen Änderungsbescheid saldierte das Finanzamt den eigentlich wieder zu berücksichtigenden Verlustvortrag von 7.397 Euro gem. § 177 AO mit anderen Änderungen zuungunsten des Steuerpflichtigen (für die keine Korrekturvorschrift mehr anwendbar gewesen wäre). Das Finanzamt ließ daher den Verlustabzug nicht (in der richtigen Höhe) wieder aufleben. Hiergegen richtete sich der Kläger.
Entscheidung
Das Finanzgericht gab dem Kläger Recht. Zwar sei die Saldierungsvorschrift nach § 177 AO auch dann anwendbar, wenn ein Einkommensteuerbescheid wegen eines geänderten Verlustfeststellungsbescheids geändert würde. Allerdings sei § 177 AO"teleologisch" zu reduzieren. Die Vorschrift dürfte dann nicht angewendet werden, wenn ein Änderungsbescheid lediglich eine zuvor durchgeführte Änderung rückgängig macht. Sonst könnte das Finanzamt folgenden "Trick" anwenden (Beispiel des Autors):
Beispiel
In einem Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12.2004 wird ein festgestellter Verlustvortrag von 50.000 Euro auf 30.000 Euro reduziert. Das Finanzamt müsste daher den Einkommensteuerbescheid des Jahres 2005 ändern, in dem es den dort durchgeführten Verlustabzug ebenfalls von 50.000 Euro auf 30.000 Euro reduziert. Angenommen es existieren für 2005 (wegen Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides) nicht mehr ansetzbare Einkünfte von 10.000 Euro. Das Finanzamt könnte nun den Einkommensteuerbescheid 2005 fälschlicherweise dahingehend ändern, dass es den Verlustabzug von 50.000 Euro auf 20.000 Euro reduziert. Der Steuerpflichtige würde dagegen natürlich Einspruch einlegen und beantragen, den Verlustabzug mit 30.000 Euro anzusetzen. Das Finanzamt würde aber keinen Änderungsbescheid mehr erlassen, da es die Änderung in Höhe von 10.000 Euro zugunsten des Steuerpflichtigen mit den (mangels anwendbarer Korrekturvorschrift) nicht mehr ansetzbaren Einkünften von 10.000 Euro saldiert.
Hinweis
Im Urteilsfall hätte wegen des anhängigen Einspruchsverfahrens zwar die Änderung unabhängig von § 177 AO erfolgen können. Das Finanzamt habe es aber unterlassen, auf die Möglichkeit eines Antrags auf Begrenzung des Verlustrücktrags auf das dem Verlustjahr vorangehende Jahr hinzuweisen. Die daraus resultierende Rückgängigmachung der Minderung des Verlustvortrags gleichzeitig als Saldierungspotenzial zu nutzen, verstoße gegen Treu und Glauben.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil vom 29.10.2014, 9 K 1154/14