Leitsatz
Bei einem nach ausländischem Recht besteuerten Vorerwerb ist für einen nachfolgenden Erwerb desselben Vermögens von Todes wegen durch Personen der Steuerklasse I keine Steuerermäßigung nach § 27 ErbStG zu gewähren.
Normenkette
§ 27 ErbStG, Art. 63 Abs. 1, Art. 65 AEUV
Sachverhalt
Der in Deutschland wohnende Kläger ist Alleinerbe der 2007 verstorbenen Mutter M ("Vermögensanfall 2"), die ihren letzten Wohnsitz ebenfalls in Deutschland hatte. Der Nachlass der M bestand im Wesentlichen aus ihrem Anteil am Nachlass der 2004 verstorbenen Tochter T in Österreich, wo auch die M bis zum Tod der T gewohnt hatte. Für diesen "Vermögensanfall 1" entstand keine deutsche ErbSt. Weder M noch T waren in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Der Nachlass der T bestand nur aus Auslandsvermögen, sodass auch eine beschränkte deutsche Steuerpflicht mangels Inlandsvermögens nicht gegeben war. Die für den Vermögensanfall 1 entstehende österreichischen ErbSt wurde vom Kläger entrichtet.
In der Erbschaftsteuererklärung für den Nachlass der M (Vermögensanfall 2) beantragte der Kläger u.a. nach § 27 ErbStG im Hinblick auf den Vermögensanfall 1 eine Ermäßigung der ErbSt. Dieses Begehren wurde von der Vorinstanz (Hessisches FG, Urteil vom 3.7.2013, 1 K 608/10, Haufe-Index 5784977, EFG 2013, 2035) abgelehnt.
Auf die wegen der europarechtlichen Dimension erfolgte Vorlage des BFH hat der EuGH (Urteil Feilen vom 30.6.2016, a.a.O.) entschieden, die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 AEUV) stehe diesem eingeschränkten Anwendungsbereich des § 27 ErbStG nicht entgegen. § 27 ErbStG führe zwar zu einer Beschränkung des Kapitalverkehrs. Diese Beschränkung sei aber durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Kohärenz des Steuersystems zu wahren. Die Ausgestaltung der Steuervergünstigung folge einer spiegelbildlichen Logik zwischen Be- und Entlastung.
Entscheidung
Auch die Revision hatte keinen Erfolg.
Der BFH weist zunächst darauf hin, dass die Steuerermäßigung schon nach dem Wortlaut des § 27 Abs. 1 ErbStG voraussetzt, dass für den Vorerwerb "nach diesem Gesetz" eine Steuer zu erheben war. Die Privilegierung ist deshalb nicht zu gewähren, wenn für den Vorerwerb keine ErbSt nach dem deutschen ErbStG, sondern eine ErbSt nach ausländischem Recht festzusetzen war. Denn eine ausländische Steuer ist keine Steuer "nach diesem Gesetz". Im Streitfall wurde für den Vorerwerb der M aufgrund des Erbanfalls nach T jedoch keine ErbSt nach dem ErbStG festgesetzt.
Dieses Ergebnis wird nach der weiteren Begründung des BFH durch die Zweckbestimmung der Norm bestätigt. Das Ziel von § 27 ErbStG ist es danach zu erreichen, die Doppelbesteuerung von Vermögen teilweise zu vermeiden, wenn der Nachlass Vermögen enthält, das von nahen Verwandten erworben wird und bereits früher besteuert wurde. In Bezug auf dieses Ziel ist es auch verhältnismäßig, die Ermäßigung nur in den Fällen zu gewähren, in denen der Vorerwerb des Vermögens in Deutschland besteuert wurde.
Hinweis
1. Im Besprechungsfall geht es um die Frage, ob die Privilegierung des § 27 ErbStG, nämlich die Ermäßigung der ErbSt bei mehrfachem Erwerb desselben Vermögens durch Personen der Steuerklasse I, auch dann zu gewähren ist, wenn ein früherer Erwerb "nur" nach österreichischem Recht besteuert wurde. Der Fall spielt hier im Jahr 2004; die ErbSt ist in Österreich zum 31.7.2008 abgeschafft worden.
2. Schon wegen des ausdrücklichen Wortlauts der Norm bestehen gegen eine Privilegierung im Hinblick auf eine Besteuerung in Österreich erhebliche Bedenken: Zur Gewährung einer Entlastung muss "nach diesem Gesetz eine Steuer" mehrfach zu erheben gewesen sein.
3. Wegen des grenzüberschreitenden Sachverhalts war aber auch die europarechtliche Frage nach einem Verstoß gegen die Grundfreiheiten der EU zu beantworten:
- Nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 19.7.2012 C-31/11, EU:C:2012:481 Scheunemann) fällt die steuerliche Behandlung von Erbschaften grundsätzlich unter Art. 63 AEUV, der den freien Kapitalverkehr betrifft. Denn bei Erbschaften, mit denen das Vermögen eines Erblassers auf dritte Personen übergeht, handelt es sich, da sie unter Rubrik XI ("Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter") des Anhangs I der Richtlinie 88/361 fallen, um Kapitalverkehr im Sinne von Art. 63 AEUV. Wenn aber – wie in dem der zitierten Entscheidung zugrunde liegenden Fall – die Beteiligung an einem Unternehmen ihrem Inhaber ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidung der betreffenden Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeit zu bestimmen, wird vorwiegend die Ausübung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) berührt, welche z.B. gegenüber Drittstaaten im Gegensatz zur Kapitalverkehrsfreiheit nicht gilt.
- Nach Auffassung des EuGH zum Besprechungsfall (Urteil Feilen vom 30.6.2016, C-123/15, EU:C:2016:496) liegt jedenfalls im Ergebnis kein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit vor. Denn es soll erkennbar sein, dass die Ermäßigung der ErbSt, die nur Personen zugutekommt, denen von Todes wegen Vermög...