Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
1. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass bei einer wiederholten Änderung der Steuerfestsetzung die Festsetzungsfrist für den gesamten Anspruch des Steuergläubigers auf Nachzahlungszinsen nicht abläuft, solange noch eine, wenn auch nur punktuell wirkende Änderung der Steuerfestsetzung zulässig ist. Teile des Zinsanspruchs unterliegen daher keiner gesonderten Teilverjährung.
2. Eine Zurückverweisung an das FG ist auch im Beschwerdeverfahren betreffend die AdV zulässig.
Normenkette
§ 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 233a Abs. 4 und 5, § 239 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und S. 3 AO, § 132, § 155 FGO, § 572 Abs. 3 ZPO
Sachverhalt
Aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung, Änderungsanträgen oder Einsprüchen des Steuerpflichtigen sowie Korrekturen der Steuerfestsetzung nach § 10d EStG und §§ 173, 175 AO hatte das FA den ESt-Bescheid vielfach geändert, dabei aber die Festsetzung der Nachzahlungszinsen zunächst unberührt gelassen. Als die Zinsfestsetzung schließlich nach Jahren angepasst wurde, machte der Steuerpflichtige geltend, der Zinsanspruch sei mit Rücksicht auf die einjährige Festsetzungsfrist für Zinsen teilweise verjährt.
Das FG gab dem Steuerpflichtigen im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung teilweise recht.
Entscheidung
Der BFH hob auf die vom FG zugelassene Beschwerde des FA die Aussetzungsentscheidung des FG auf und verwies das Verfahren an das FG zurück. Bei summarischer Prüfung komme eine Teilverjährung des Zinsanspruchs nicht in Betracht. Das FG müsse aber noch prüfen, ob die Höhe der vom FA festgesetzten Zinsen bei summarischer Prüfung zutreffend sei.
Hinweis
Die Regelungen über die Verzinsung gehören zu den kompliziertesten, die die AO zu bieten hat. Das zeigt auch der hier besprochene Beschluss. Es kommt nicht oft vor, dass der BFH eine Regelung, wie in diesem Fall, ausdrücklich als "missraten" bezeichnet.
Das Problem dieses Falls rührt daher, dass die Festsetzungsfrist, die für Steuern normalerweise vier Jahre beträgt, nach der ausdrücklichen Regelung des § 239 Abs. 1 S. 1 AO nur ein Jahr beträgt. Und der ESt-Bescheid ist zwar Grundlagenbescheid für die Festsetzung der Nachzahlungszinsen, aber weil die Steuerfestsetzung und die Festsetzung der Zinsen unterschiedliche Verwaltungsakte sind, gibt es keinen Automatismus, der sicherstellt, dass bei einer Änderung der Steuerfestsetzung zugleich auch die Festsetzung der Zinsen angepasst wird.
Allerdings schreibt § 233a Abs. 5 S. 1 AO vor, dass bei einer Änderung der Steuerfestsetzung auch die bisherige Zinsfestsetzung zu ändern ist. Zu der Frage, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die Anpassung der Zinsfestsetzung nicht zeitnah geschieht, schweigt das Gesetz jedoch. Bei mehrfachen Änderungen der Steuerfestsetzung kann es deshalb vorkommen, dass die Festsetzung der Nachzahlungszinsen "hinterherhinkt". Dann stellt sich die Frage, wie sich die nur auf ein Jahr begrenzte Festsetzungsfrist für Nachzahlungszinsen auswirkt.
Besondere Bedeutung kommt dabei der Vorschrift des § 239 Abs. 1 S. 3 AO zu. Danach läuft die Festsetzungsfrist für die Zinsen nicht ab, solange die Steuerfestsetzung, ihre Aufhebung, ihre Änderung oder ihre Berichtigung nach § 129 AO noch zulässig ist. Bisher war in der Rechtsprechung nicht entschieden, ob diese Ablaufhemmung für den gesamten Zinsanspruch gilt, solange noch eine, wenn auch nur punktuell wirkende Änderung der Steuerfestsetzung zulässig ist.
Der BFH hat diese Frage in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in der Literatur bejaht. Zwar handelt es sich nur um eine summarische Prüfung im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung. Die Argumentation ist jedoch so angelegt, dass auch in einem etwaigen Revisionsverfahren keine andere Beurteilung zu erwarten sein dürfte.
Die Beurteilung des BFH stützt sich zunächst auf den Wortlaut des § 239 Abs. 1 S. 3 AO. Dort heißt es "solange" und nicht etwa "soweit". Ferner entspricht das gefundene Ergebnis dem Zweck der Regelung, denn die Anpassung der Zinsen an die Höhe der Hauptforderung sollen nicht daran scheitern, dass die Festsetzungsfrist für die Steuer vier Jahre, für die Zinsen aber nur ein Jahr beträgt.
Und schließlich entspricht die Entscheidung auch dem systematischen Zusammenhang der maßgebenden Vorschriften. Steuerbescheid und Zinsfestsetzung sind im Verhältnis zueinander Grundlagen- und Folgebescheid. Insoweit gilt aber generell, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist für den Folgebescheid im Ausmaß der Bindungswirkung des (gesamten) Grundlagenbescheids gehemmt ist, solange ein Grundlagenbescheid noch zulässig ergehen kann.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 14.07.2008 – VIII B 176/07