Leitsatz
1. Das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG erfasst auch in künftigen Wirtschaftsjahren als Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsgutes zu aktivierende Aufwendungen, die zu keinem Ertrag mehr führen können.
2. Ob bezogen auf die Abzinsung von Rückstellungen für Nachsorgeverpflichtungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 2 EStG separate Abzinsungszeiträume für die sog. Stilllegungs- und die Nachsorgephase zu bilden sind, ist anhand der vom FG festzustellenden Rechtsgrundlagen der jeweiligen Nachsorgeverpflichtung zu beurteilen.
Normenkette
§ 5 Abs. 4b Satz 1, § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 2 EStG, § 255 Abs. 2 HGB, § 40 Abs. 2 FGO, § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG
Sachverhalt
Die klagende GmbH erledigte abfallwirtschaftliche Aufgaben. Dazu unterhielt sie u.a. drei Deponien, die zum Teil schon stillgelegt und durch Nachsorgemaßnahmen zu sichern sind. Für ihre Nachsorgeverpflichtungen hat die Klägerin in ihren jeweiligen Handelsbilanzen auf Grundlage eingeholter Gutachten Rückstellungen gebildet; in der Steuerbilanz hat sie Abzinsungen vorgenommen.
Das FA verwies auf ein BMF-Schreiben vom 25.7.2005 (BStBl I 2005, 826, Rz. 22); für die Verpflichtung zur Stilllegung und zur Nachsorge der Deponien sei jeweils ein separater Abzinsungszeitraum zu bilden, da es sich um unterschiedliche Verpflichtungen handele. Die zurückgestellten Aufwendungen seien verschiedenen Phasen zuzuordnen. Zudem sei für alle Bilanzstichtage nach dem 1.8.2002 maximal ein Nachsorgezeitraum von 30 Jahren ab dem Ende der Verfüllung anzunehmen. Das FG gab der Klage statt (FG Münster, Urteil vom 25.2.2015, 9 K 147/11 K,G,F, Haufe-Index 8026023, EFG 2015, 1283).
Entscheidung
Der BFH hat das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen.
Hinweis
1. Rechtsschutzverfahren mit "objektiver Klagenhäufung" (z.B. Anfechtungssituation mit mehreren Festsetzungen oder Feststellungen) bedürfen besonderer Aufmerksamkeit zur Sachentscheidungsvoraussetzung der "Beschwer" (§ 40 Abs. 2 FGO).
Hier war u.a. zu entscheiden, dass eine Steuerfestsetzung, die durch Bescheidänderung im Klageverfahren zur Nullfestsetzung mutiert war, dennoch tauglicher Verfahrensgegenstand sein kann. Der BFH verweist insoweit auf ebenfalls streitgegenständliche Verlustfeststellungsbescheide, die die ursprünglich im Festsetzungsbescheid enthaltene Beschwer (Einkommenserhöhung) in sich aufnehmen.
2. Materiell-rechtlich geht es um eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten (abfallrechtliche Nachsorgeverpflichtungen) und dabei speziell um die Ausnahmeregelung (das Passivierungsverbot) des § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG.
Nach dieser Regelung können Rückstellungen für Aufwendungen, die in künftigen Wirtschaftsjahren als Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts zu aktivieren sind, nicht gebildet werden. Zunächst wird vom BFH allerdings hervorgehoben, dass Klarheit über die Rechtsgrundlagen für etwaige Verpflichtungen zu Stilllegungs- und Nachsorgemaßnahmen bestehen muss.
3. Der Kern des Rechtsstreits betrifft die Frage, ob die in den Nachsorgerückstellungen enthaltenen Investitionskosten nach § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG von der Rückstellungsbildung ausgeschlossen sind oder ob – auf der Grundlage einer teleologischen Reduktion der Vorschrift – dies für Aufwendungen, die zu keinem Ertrag mehr führen können und daher "wertlos" sind, nicht gilt.
Um es kurz zu machen: Der BFH schließt angesichts des eindeutigen Wortlauts, der sämtliche aktivierungspflichtigen Aufwendungen umfasst, eine solche teleologische Reduktion aus. Der Gesetzgeber hat die Regelung als "redaktionelle Klarstellung" verstanden und ihr (da sich ein entsprechendes Rückstellungsverbot zuvor aus den GoB ergab) lediglich deklaratorische Bedeutung beigemessen. Insoweit sind alle zu erwartenden Aufwendungen dahin zu untersuchen, ob sie als Anschaffungskosten oder als (nachträgliche) Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts zu aktivieren sein können. Insoweit ist eine Rückstellungsbildung ausgeschlossen.
4. Nicht zuletzt ist zur Höhe der Rückstellung noch die Abzinsungsregelung des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG zu beachten. Dabei steht mit Blick auf Buchst. e Satz 2 dieser Norm besonders die Frage im Raum, ob für die Nachsorgemaßnahmen "der Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllung" zutreffend ermittelt wurde. Der BFH äußert hier Bedenken dahin, eine "Atomisierung" der Nachsorgeverpflichtungen für Zwecke der Abzinsung vorzunehmen. Immerhin sind auch insoweit die Rechtsgrundlagen der jeweiligen Nachsorgeverpflichtung maßgebend und entscheidend.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 8.11.2016 – I R 35/15