Leitsatz
1. Die in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchst. c der 6. EG-RL vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer gilt für folgende ärztliche Leistungen:
- – ärztliche Untersuchungen von Personen im Auftrag von Arbeitgebern oder Versicherungsunternehmen,
- – die Entnahme von Blut oder anderen Körperproben zwecks Untersuchung auf Viren, Infektionen oder andere Krankheiten im Auftrag von Arbeitgebern oder Versicherern,
- – das Bescheinigen einer gesundheitlichen Eignung, wie z.B. der Reisefähigkeit,
dann, wenn diese in erster Linie dem Schutz der Gesundheit des Betroffenen dienen sollen.
2. Diese Steuerbefreiung erfolgt hingegen nicht für folgende Leistungen, die im Rahmen der Ausübung des Arztberufs erbracht werden:
- – das Ausstellen von ärztlichen Bescheinigungen für Zwecke eines Kriegsrentenanspruchs,
- – ärztliche Untersuchungen für die Erstellung von Gutachten für Haftungsfragen und die Bemessung des Schadens von Personen, die die Erhebung einer Klage wegen Körperverletzung in Erwägung ziehen,
- – die Erstellung von ärztlichen Gutachten im Anschluss an solche Untersuchungen sowie die Erstellung von Gutachten auf der Grundlage von Arztberichten ohne Durchführung ärztlicher Untersuchungen,
- – ärztliche Untersuchungen für die Erstellung von Gutachten über ärztliche Kunstfehler für Personen, die die Erhebung einer Klage in Erwägung ziehen,
- – die Erstellung von ärztlichen Gutachten im Anschluss an solche Untersuchungen sowie die Erstellung von Gutachten auf der Grundlage von Arztberichten ohne Durchführung ärztlicher Untersuchungen.
Normenkette
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der 6. EG-RL (vgl. § 4 Nr. 14 und Nr. 16 UStG)
Sachverhalt
Der Kläger (d'Ambrumenil), ein freiberuflich arbeitender Mediziner, erstattete u.a. medizinische Gutachten (z.B. zu Kunstfehlern, Körperverletzungen, Disziplinarverfahren) und trat als Schlichter und Schiedsrichter in medizinische Fragen betreffende Verfahren auf. Einen Großteil dieser Tätigkeiten ließ er ab 1994 durch die von ihm gegründete Gesellschaft (DRS, ebenfalls Klägerin) ausführen.
Die Kläger wandten sich gegen die Auffassung der englischen Steuerverwaltung, die diese Tätigkeiten als von der Umsatzsteuer befreite ärztliche Heilbehandlungen beurteilte. Das englische Gericht hatte Zweifel, ob die ein Vaterschaftsgutachten betreffende Entscheidung des EuGH vom 14.9.2000, Rs. C-384/98 – D. – (Slg. 2000, I-6795) auch für Gutachten gelte, die spezifisch medizinische Fragen betreffen, und hat die in Frage kommenden Gutachtentypen in der Frage genau geschildert.
Entscheidung
Im Leitsatz beantwortet der EuGH die konkret auf den Fall zugeschnittenen Fragen des vorlegenden Gerichts. Diese Grundsätze sind auch für die Auslegung des § 4 Nrn. 14 und 16 UStG verbindlich.
Hinweis
Die Besprechungsentscheidung betrifft ebenso wie das EuGH-Urteil "Unterpertinger" (BFH-PR 2004, 70) die Abgrenzung ärztliche Heilbehandlung und andere ärztliche Leistungen (Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchst. b und c der 6. EG-RL).
Die englische Finanzverwaltung hatte Abgrenzungsprobleme geltend gemacht, z.B. zu Vorsorgeuntersuchungen, zu Beratungsleistungen im Zusammenhang mit der Krankheitsverhütung, Impfungen und Immunbehandlung, Fortpflanzungsmedizin und Schönheitschirurgie. Der EuGH betont, dass
- Befreiungsvorschriften eng auszulegen sind (Rz. 52),
- nur die in den Befreiungsvorschriften Art. 13 Teil A einzeln aufgeführten und sehr genau bezeichneten Tätigkeiten steuerbefreit sind (Rz. 53,54),
- die Vorschriften (Art. 13 Teil A Abs.1 Buchst. b und c der 6. EG-RL) die Senkung der Kosten ärztlicher Heilbehandlungen bezwecken,
- der Begriff Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin (nur) ärztliche Tätigkeiten nicht erfasst, die keinem therapeutischen Zweck dienen (Rz. 58),
- der Begriff auch neben der Diagnose, Behandlung und – soweit möglich – der Heilung von Krankheiten (Rz. 57) alle der Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit dienenden Leistungen – und damit auch die der Vorbeugung dienenden Leistungen – umfasst (Rz. 59),
- ärztliche Leistungen, die nicht dem Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit dienen, von der Steuerbefreiung in Art. 13 Teil A Buchst. b und c der 6. EG-RL nicht erfasst sind,
- die Erstellung ärztlicher Gutachten, die lediglich von wem auch immer (z.B. Gericht, Versicherung) als Grundlage einer Entscheidung eines Dritten benötigt werden, der Umsatzsteuer unterliegt (Rz. 60, 61),
- unerheblich ist, ob das Gutachten mittelbar auch zum Schutz der Gesundheit beitragen kann, indem ein neues gesundheitliches Problem entdeckt wird (Rz. 61),
- es auf den Hauptzweck der (Gutachten-)Tätigkeit ankommt (Rz. 61, 63, 64),
- bei Gutachten allein entscheidend ist, ob Hauptzweck der (Gesundheits-)Schutz des Betroffenen ist (Gutachten zur Ermittlung des Gesundheitszustands zur Feststellung der zulässigen Bedingungen für seine Beschäftigung; Vorsorgeuntersuchungen zur Krankheitsvorbeugung und -erkennung (Rz. 65, 67, z.B. Augenuntersuchung für Computerarbeitspla...