Leitsatz

1. Hält der Steuerpflichtige eine ihn nachteilig treffende Norm im Hinblick auf die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers für verfassungsgemäß, sieht er die Besteuerung aber in seinem Einzelfall als unbillig an, weil er von der Typisierung unverhältnismäßig betroffen wird, kann er ohne vorherige Anfechtung der Steuerfestsetzung eine Billigkeitsmaßnahme beantragen.

2. Die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags kann ungeachtet der Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht unbillig sein, wenn der Gewerbeertrag allein daraus resultiert, dass der Steuerpflichtige zur Vermeidung der Insolvenz einen Gläubiger zum Erlass seiner Forderung gedrängt hat.

 

Normenkette

§ 163 Satz 1, § 227 AO, § 10a Sätze 1 und 2 GewStG

 

Sachverhalt

Eine KG, deren Zweck die Sanierung eines Grundstücks war, hatte nach Scheitern des Projekts das Grundstück veräußert und die Geschäftstätigkeit eingestellt. Zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens veranlasste die KG ihre Gläubiger dazu, auf die ohnehin wertlos gewordenen Forderungen zu verzichten. Daraus resultierte ein Gewinn, der trotz betragsmäßig ausreichender Verlustvorträge wegen der Regeln zur Mindestbesteuerung in § 10a GewStG nicht voll mit Verlusten verrechnet werden konnte. Im Hinblick auf die Einstellung der Geschäftstätigkeit konnten auch keine weiteren Gewinne erzielt werden, mit denen die verbliebenen Verlustvorträge hätten verrechnet werden können.

Gegen den Gewerbesteuermessbescheid und den Gewerbesteuerbescheid setzte sich die KG gerichtlich nicht zur Wehr, sondern beantragte – zunächst erfolglos – Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 AO und § 227 AO.

Das FG gab der Klage statt und verpflichtete das FA, die Anträge neu zu bescheiden. Das FA habe bei seiner Ermessensentscheidung die bereits erkennbare Definitivwirkung der beschränkten Verlustverrechnung nicht hinreichend berücksichtigt.

 

Entscheidung

Der BFH schloss sich dieser Einschätzung des FG nicht an, sondern wies die Klage unter Aufhebung des FG-Urteils ab (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.6.2010, 6 K 6216/06 B, Haufe-Index 2370239, EFG 2010, 1576). Zwar komme eine Billigkeitsmaßnahme grundsätzlich in Betracht. Eine vorherige Anfechtung der Steuerfestsetzung sei nicht erforderlich gewesen. Die Besteuerung sei aber deshalb nicht unbillig, weil die Gewinnentstehung durch Forderungsverzicht vermeidbar gewesen wäre.

 

Hinweis

1. Die Entscheidung steht in Zusammenhang mit der Grundsatzentscheidung des BFH vom gleichen Tag, mit der die Mindestbesteuerung nach § 10a GewStG auch im Fall der Definitivbelastung für verfassungskonform gehalten worden ist (Urteil vom 20.9.2012, IV R 36/10, BFH/NV 2013, 138 in diesem Heft). Der BFH hat seine dortige Entscheidung u.a. darauf gestützt, dass im Einzelfall mögliche Überbelastungen durch Billigkeitsmaßnahmen vermieden werden müssen.

2. Eine sachliche Unbilligkeit im Sinne der §§ 163, 227 AO liegt nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht vor, wenn ein Gesetz eine vom Gesetzgeber beabsichtigte oder zumindest hingenommene ungünstige Rechtsfolge für einen Steuerpflichtigen auslöst. Nur wenn die Rechtsfolge in einem vom Gesetzgeber nicht vorhergesehenen Fall eintritt, kann mit einer Billigkeitsmaßnahme das Ergebnis herbeigeführt werden, das der Gesetzgeber bei Berücksichtigung des Falls mutmaßlich hätte eintreten lassen wollen.

Mit seinen Urteilen zur gewerbesteuerlichen Mindestbesteuerung hat der BFH nun eine ganze Fallgruppe sachlicher Unbilligkeit identifiziert, indem er die Billigkeitsmaßnahme als flankierende Maßnahme einer Typisierung ansieht. Wenn der Gesetzgeber bei Formulierung einer typisierenden ­Regelung nicht genau erkennen kann, ob und in welchem ­Umfang es in Einzelfällen zu einer Übermaßbesteuerung kommen wird, darf er die typisierende Norm nur erlassen, wenn sichergestellt ist, dass Billigkeits­maßnahmen in Einzelfällen ansonsten auftretende übermäßige Steuerbelastungen verhindern. Diese Möglichkeit bieten die §§ 163, 227 AO, indem die Festsetzung und Erhebung der betreffenden Steuer als sachlich unbillig behandelt werden kann.

3. Für die Mindestbesteuerung bedeutet das, dass im Fall einer eintretenden Definitivbelastung deren Unbilligkeit zu prüfen ist. Bei der GewSt wird das häufig schon deshalb nicht der Fall sein, weil die Definitivbelastung eine Folge des Objektsteuerprinzips ist, der Verlust also wegen des unvorhersehbaren Geschäftsverlaufs am Ende nicht mehr verrechnet werden kann. Ein Fall sachlicher Unbilligkeit kann aber vorliegen, wenn das Geschäftsmodell des Unternehmens notwendig zum Entstehen hoher Verlustvorträge führt, an die sich ebenfalls unausweichlich Gewinne anschließen, die wegen der Mindestbesteuerung endgültig nicht voll mit den Verlustvorträgen verrechnet werden können. Hierzu können etwa Geschäftstätigkeiten mit volatilem Geschäftsverlauf gehören, die nur in der Verwirklichung eines Projekts bestehen.

Es war danach denkbar, dass die im Urteilsfall aus der Sanierung eines bestimmten Grundstücks bestehende Unternehmenstätigkeit in...

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