Leitsatz (amtlich)
1. Auch wenn man der Begehung sog. "konnexer" Straftaten eine Indizwirkung für das Vorliegen eines Arrestgrundes beimisst und die Steuerhinterziehung zu den insoweit für einschlägig erachteten Straftaten zählt, entbindet dies nicht von der gebotenen Einzelfallprüfung unter Darlegung der konkreten Umstände, aus denen sich nach einer Gesamtabwägung das Urteil rechtfertigt, der Schuldner werde ohne die Arrestierung die künftige Vollstreckung vereiteln oder wesentlich erschweren.
2. Ein strafprozessualer dinglicher Arrest zugunsten des Steuerfiskus darf nicht angeordnet werden - jedenfalls aber nicht über längere Zeit aufrechterhalten bleiben -, wenn der Steuerfiskus von der ihm zustehenden Möglichkeit, selbst einen dinglichen Arrest nach § 324 AO zu erlassen, ohne erkennbaren Grund keinen Gebrauch gemacht und dadurch ein fehlendes oder zumindest stark eingeschränktes Sicherungsbedürfnis in Bezug auf den strafprozessualen Arrest gezeigt hat.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 22.03.2017) |
LG Berlin (Entscheidung vom 15.12.2016) |
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 02.11.2016) |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde der M GmbH, xx, vertreten durch den Geschäftsführer Y, xx, werden der Arrestbeschluss des Amtsgericht Tiergarten vom 2. November 2016 sowie die Beschlüsse des Landgerichts Berlin vom 15. Dezember 2016 und 22. März 2017 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Beschwerdeführerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse Berlin zu tragen.
Gründe
I.
Das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen ermittelt gegen den Beschuldigten Y wegen des Verdachts der Lohnsteuerhinterziehung (§ 370 AO). Ihm wird vorgeworfen, als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Beschwerdeführerin, einem im Bauhauptgewerbe tätigen Unternehmen, den Finanzbehörden unrichtige bzw. unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht zu haben, indem er im Zeitraum von April 2011 bis Dezember 2015 Lohnzahlungen an Arbeitnehmer der M GmbH in den eingereichten Lohnsteueranmeldungen nicht angemeldet habe; die Schwarzlohnzahlungen seien durch die Verwendung von Scheinrechnungen (u.a.) der Firmen A GmbH, B GmbH, D GmbH, DA GmbH, DE GmbH, G GmbH, J GmbH, L GmbH, LU GmbH, R GmbH, SCH GmbH, S GmbH, SL GmbH, ST GmbH und T GmbH in der Buchhaltung abgedeckt worden.
1. Mit Beschluss vom 2. November 2016 hat das Amtsgericht Tiergarten zur Sicherung der dem Steuerfiskus aus den Straftaten erwachsenen Ansprüche gemäß den §§ 111b Abs. 2 und 5, 111d Abs. 1 Satz 1, 111e Abs. 1 Satz 1 StPO; §§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a StGB den dinglichen Arrest in Höhe von 276.284,92 Euro in das gesamte Vermögen der Beschwerdeführerin angeordnet.
Konkret listet der Arrestbeschluss für 26 einzelne Monate aus dem genannten Zeitraum jeweils Lohnsteuerbeträge in monatlichen Summen zwischen 390,43 Euro und 31.545,60 Euro auf, die sich zu dem Arrestbetrag summieren. Die Lohnsteuerbeträge sind nicht näher aufgeschlüsselt und ihre Berechnung ist nicht dargelegt. Auch sind keine konkreten (Schein-)Rechnungen der im Beschluss genannten 15 sog. Serviceunternehmen, von denen in der Antragsbegründung allerdings nur 12 Unternehmen aufgeführt waren, benannt.
Zum Vorliegen des Arrestgrundes hat das Amtsgericht das Folgende ausgeführt (Text im Original):
"Der dingliche Arrest zur Sicherung der Ansprüche des Verletzten ist anzuordnen, da zu befürchten ist, dass die Beschuldigten bei umfassender Kenntnis der Sach- und Rechtslage alles tun werden, das Vermögen zu verschieben, um die spätere Vollstreckung von Ansprüchen des Verletzten zu vereiteln oder wesentlich zu erschweren. Dies wird insbesondere an den vorstehenden Ausführungen deutlich".
Die Bezugnahme auf die "vorstehenden Ausführungen" zielt ersichtlich auf eine Passage in den Beschlussgründen, wonach das Amtsgericht der Ansicht ist, dass die Verwendung von Scheinrechnungen ("grundsätzlich") und eine Straftat gegen das Vermögen einen Arrestgrund dann begründet, wenn die "unerlaubte Handlung" nach den Umständen des Einzelfalles die Annahme rechtfertigt, der "Schuldner" werde seine rechtsfeindliche Verhaltensweise fortsetzen, um den rechtswidrig erlangten Vermögensvorteil zu behalten, d.h. die "Zwangsvollstreckung" zu vereiteln. Im Anschluss an diese Rechtsausführungen hat das Amtsgericht noch angeführt:
"In Anbetracht der für das vorliegende Verfahren errechneten Steuernachforderung von 276.284,92 € kann auch unter Berücksichtigung der bisher bekannten Vermögenswerte nicht davon ausgegangen werden, dass bei der Durchsuchung etwa vorgefundene Vermögenswerte ohne Durchführung vermögenssichernder Maßnahmen bei den später ergehenden Steuernachforderungsbescheiden des Finanzamts noch vorhanden sind".
2. Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 18. November 2016, auf dessen Inhalt der Senat wegen des näheren Beschwerdevorbringens verweist, hat die Beschwerdeführerin gegen die Arrestanordnung Beschwerde erhoben.
3. Das Landgericht Berlin hat das Rechtsmittel mi...