Leitsatz
1. Der Tatbestand "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG muss nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss (z.B. in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang) erfüllt sein.
2. Mehraktige Ausbildungsmaßnahmen sind Teil einer einheitlichen Erstausbildung, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das von den Eltern und dem Kind bestimmte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann (Anschluss an BFH, Urteil vom 3.7.2014, III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152).
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c, § 32 Abs. 4 Satz 2, § 32 Abs. 4 Satz 3, § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG, § 118 Abs. 2, § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 135 Abs. 1, § 139 Abs. 1, § 143 Abs. 1, § 149 Abs. 1 FGO
Sachverhalt
Der Kläger ist Vater des 1990 geborenen C. Dieser befand sich bis einschließlich Februar 2012 in beruflicher Ausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik. Nach erfolgreichem Abschluss bewarb C sich im selben Monat für einen Platz an einer Technikerschule sowie einer Fachoberschule für Technik. Bereits zu diesem Zeitpunkt strebte er diese Weiterbildungsmaßnahmen mit dem Fernziel der Erlangung des Abschlusses eines Elektrotechnikers oder Elektroingenieurs an. Am 28.2.2012 unterschrieb C einen auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrag in üblich bezahlter Vollzeitbeschäftigung, aufgrund dessen er von März bis Juli 2012 in seinem erlernten Beruf arbeitete. Nachdem er eine Zusage der Fachoberschule für Technik erhalten hatte, beendete er das Arbeitsverhältnis vorzeitig, um ab Mitte August 2012 diese Bildungseinrichtung besuchen zu können. Der einjährige Vollzeitunterricht erfolgte zur Vorbereitung des Studiums an einer Fachhochschule und war für C Voraussetzung, ein solches aufnehmen zu können. Mit Bescheid vom 16.10.2012 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für das Kind C für den Streitzeitraum auf. Ein Anspruch auf Kindergeld bestehe für diesen Zeitraum nicht, weil C – nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung im Februar 2012 – ab März bis Juli 2012 einer Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Stunden pro Woche nachgegangen sei. Einspruch und Klage zum Finanzgericht (FG Münster, Urteil vom 4.3.2014, 1 K 1772/13 Kg, Haufe-Index 7183787, EFG 2014, 1595) hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil der Vorinstanz auf und gab der Klage statt, da der erste berufsqualifizierende Abschluss des C im Februar 2012 noch nicht zu einem "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" geführt habe.
Hinweis
1. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird Kindergeld in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur gezahlt, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 63 Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).
2. Bei mehraktigen Ausbildungsmaßnahmen bereitet die Entscheidung, ob eine erstmalige Berufsausbildung bereits abgeschlossen worden ist, bisweilen Schwierigkeiten. Derartige Ausbildungsmaßnahmen sind als Teil einer einheitlichen Erstausbildung anzusehen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das – von den Eltern und dem Kind – bestimmte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. Ist aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein. Abzustellen ist dabei darauf, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stehen (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) und im engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.4.2015 – V R 27/14