Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Ein Kind ist nur dann als arbeitsloses Kind i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG 1997 zu berücksichtigen, wenn es seine Arbeitsbereitschaft dokumentiert. An der Arbeitsbereitschaft des Kindes fehlt es regelmäßig dann, wenn es sich zwar arbeitslos meldet, in der Folgezeit jedoch die Meldepflicht gem. § 132 Abs. 1 AFG mehrfach verletzt.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG 1997 , §§ 101, 103, 132 Abs. 1 AFG
Sachverhalt
Der 1976 geborene Sohn S der Klägerin war seit August 1996 arbeitslos gemeldet. Ende November 1996 teilte ihm das Kreiswehrersatzamt mit, dass er möglicherweise zum 2.1.1997, andernfalls zum 3.3.1997 zum Grundwehrdienst einberufen werden würde. Einladungen des Arbeitsamts zum 23.12.1996 und zum 3.1.1997 nahm S nicht wahr. Der Wehrdienst begann am 1.3.1997.
Der Beklage hob daraufhin die Festsetzung des Kindergeldes für S ab Januar 1996 auf und forderte das zuviel gezahlte Kindergeld zurück. Das FG gab der Klage für die Monate Januar und Februar statt, weil S wegen des bevorstehenden Wehrdienstes nur schwer vermittelbar gewesen sein dürfte (EFG 2000, 1256).
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil auf und wies die Klage ab. Die Tatbestandsmerkmale "arbeitslos" und "der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehend" des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG richteten sich nach den §§ 101 und 103 AFG. Der Arbeitsvermittlung stehe gem. § 103 Abs. 1 AFG nur zur Verfügung, wer bereit sei, eine zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Das sei mit Hilfe eines Indizienbeweises festzustellen. Die mehrfache Verletzung der Meldepflicht begründe eine tatsächliche Vermutung, dass das arbeitslose Kind nicht bereit sei, eine ihm zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Der Hinweis auf den bevorstehenden Wehrdienst sei zur Gegenbeweisführung nicht geeignet.
Hinweis
Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG wird ein Kind beim Familienleistungsausgleich berücksichtigt, wenn es noch nicht 21 Jahre alt und arbeitslos ist. Außerdem muss es "der Arbeitsplatzvermittlung zur Verfügung stehen". Beide Begriffe sind i.S.v. §§ 101 und 203 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) auszulegen.
Nach § 103 Abs. 1 Nr. 2 AFG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer bereit ist, eine zumutbare Beschäftigung (oder Ausbildung usw.) anzunehmen und wer das Arbeitsamt aufsuchen kann und für das Arbeitsamt erreichbar ist. Die Arbeitsbereitschaft ist als inneres Tatbestandsmerkmal anhand der erkennbaren äußeren Umstände festzustellen. Es kommt also darauf an, wie sich das arbeitslose Kind verhält. Besonders ins Gewicht fallen hier Pflichtverletzungen. Wer – wie im Streitfall – gleich mehrmals seine Meldepflicht verletzt, muss damit rechnen, dass daraus auf seine fehlende Bereitschaft geschlossen wird, eine zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Allerdings kann auch diese Schlussfolgerung wie bei jedem Indizienbeweis erschüttert werden. Der Hinweis auf die baldige Einberufung zum Wehrdienst ist aber zum Erschütterungsbeweis nicht geeignet; insbesondere kann aus § 32 Abs. 4 Nr. 2b EStG nicht hergeleitet werden, dass das Kind vier Monate vor Beginn des Wehrdienstes seine Bemühungen um einen Arbeitsplatz einstellen darf.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.7.2003, VIII R 56/00