Leitsatz

1. Hält sich ein zunächst im Inland wohnhaftes minderjähriges Kind zu Ausbildungszwecken für mehr als ein Jahr außerhalb des Gebietes der EU und des EWR auf, behält es seinen Inlandswohnsitz in der Wohnung eines oder beider Elternteile nur dann bei, wenn ihm in dieser Wohnung zum dauerhaften Wohnen geeignete Räume zur Verfügung stehen, es diese objektiv jederzeit nutzen kann und tatsächlich mit einer gewissen Regelmäßigkeit auch nutzt.

2. Eine Beibehaltung des Inlandswohnsitzes kommt dabei im Regelfall nur dann in Betracht, wenn das Kind diese Wohnung zumindest zum überwiegenden Teil der ausbildungsfreien Zeiten tatsächlich nutzt.

 

Normenkette

§ 63 Abs. 1 Satz 6 EStG, § 8, § 90 Abs. 2 AO, § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Vater von zwei in den Jahren 2006 und 2008 geborenen Kindern. Eltern und Kinder sind deutsche Staatsangehörige. Die Familie lebte zunächst in Deutschland, wo die Kinder den Kindergarten und die Grundschule besuchten. Um die arabische Sprache zu lernen, sollten sie bei ihren Großeltern in Z-Land leben und dort zur Schule gehen. Anfang September 2015 reisten die von der Mutter begleiteten Kinder aus. Mutter und Kinder hielten sich 20 Monate in Z-Land auf, unterbrochen durch mehrwöchige Zeiten in Deutschland.

Zum ... September 2015 gab der Kläger die bisherige Familienwohnung auf und verzog in eine 200 Meter entfernte "Zwischenwohnung". Im Juni 2017 kehrten die Kinder nach Deutschland zurück und nahmen den Schulbesuch wieder auf; die Familie bezog eine wiederum in unmittelbarer Nähe befindliche Wohnung.

Den Kindergeldantrag lehnte die Familienkasse für den Zeitraum ab September 2015 ab. Die Klage hatte keinen Erfolg (FG Düsseldorf, Urteil vom 6.12.2018, 14 K 1668/17 Kg, Haufe-Index 14058368).

 

Entscheidung

Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies die Sache zurück. Im zweiten Rechtsgang sind vom FG Feststellungen zu treffen, nach denen beurteilt werden kann, ob und gegebenenfalls wann die Kinder ihren Wohnsitz in der vom Kläger angemieteten Zwischenwohnung begründet haben und ob sie ihn im gesamten Streitzeitraum beibehalten, ob sie ihn zunächst beibehalten und später aufgegeben oder bereits im September 2015 aufgegeben und erst im Juni 2017 wieder neu begründet haben.

 

Hinweis

Die Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes durch die Kinder ist ein Streitpunkt im Kindergeldrecht, der auch den BFH häufig beschäftigt. Das erstaunt, weil die Grundsätze, nach denen sich bestimmt, ob jemand einen Wohnsitz (§ 8 AO) im Inland hat, durch langjährige Rechtsprechung geklärt sind und die entsprechende Tatsachenwürdigung des FG nur begrenzt überprüfbar ist (§ 118 Abs. 2 FGO).

Im Streitfall fehlte dem FG-Urteil eine tragfähige Tatsachengrundlage für die Annahme, dass die Kinder während des Streitzeitraums keinen inländischen Wohnsitz hatten. Das BFH-Urteil ist nicht wegen neuer Rechtsgrundsätze von Interesse, sondern weil es die festzustellenden Tatsachen beschreibt.

1. Im zeitlichen Zusammenhang mit dem Wegzug der Kinder und ihrer Mutter zu den Großeltern war der im Inland verbliebene Vater von der bisherigen Familienwohnung in eine andere Wohnung umgezogen. Insoweit war nicht festgestellt, ob und wann die Kinder in der vom Kläger bezogenen Zwischenwohnung überhaupt einen Wohnsitz begründet ­haben und ob es sich um auch für die Kinder zum dauerhaften Wohnen geeignete Räume handelte.

2. Die Wohnverhältnisse im Ausland waren ebenfalls nicht festgestellt (vgl. dazu § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO).

3. Nur wenn die Kinder in der neuen Wohnung des Klägers vor ihrer Ausreise einen Wohnsitz begründet hatten, stellt sich die Frage nach dessen Beibehaltung in den zwanzig Monaten des Auslandsaufenthalts. Dafür ist von Bedeutung, ob bei Ausreise der Kinder ein vorübergehender Auslandsaufenthalt oder ein Aufenthalt von unbestimmter Zeit geplant war. Denn bei voraussichtlicher Rückkehr innerhalb eines Jahres wird der Inlandswohnsitz regelmäßig nicht aufgegeben, sodass für dessen Beibehaltung Inlandsaufenthalte nicht erforderlich sind.

4. Wird die Rückkehrabsicht innerhalb eines Jahres aufgegeben, so kann in diesem Moment eine Aufgabe des Wohnsitzes erfolgen. Sobald Umstände eintreten, die Rückschlüsse auf einen längerfristigen Auslandsaufenthalt zulassen, kommt den Inlandsaufenthalten bei der Frage der Beibehaltung des Wohnsitzes im Elternhaus wieder erhebliche Bedeutung zu.

Das FG hatte die Anzahl der Tage festgestellt, an denen sich die Kinder im Inland befanden, aber nicht, in welchem Umfang die Kinder im Streitzeitraum ausbildungsfreie Zeiten hatten und welchen Teil der Ferien sie in Deutschland verbrachten. Die Beibehaltung des Inlandswohnsitzes erfordert, dass die ausbildungsfreien Zeiten zumindest überwiegend im Inland verbracht werden.

5. Für besser verdienende Eltern sei angemerkt, dass der inländische Wohnsitz auch aufgegeben werden kann, wenn Deutsche z.B. mehr als ein Jahr in den USA oder einem anderen Nicht-EU/EWR-Land studieren. Dann muss sichergestellt werden, dass die ESt bei der Gü...

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