Leitsatz
1. Anspruch auf Kindergeld für ein verheiratetes Kind besteht nur dann, wenn die Einkünfte des Ehepartners für den vollständigen Unterhalt des Kindes nicht ausreichen, das Kind ebenfalls nicht über ausreichende eigene Mittel für den Unterhalt verfügt und die Eltern deshalb weiterhin für das Kind aufkommen müssen – sog. Mangelfall – (Fortführung der BFH-Urteile vom 2.3.2000, VI R 13/99, BStBl II 2000, 522 und vom 23.11.2001, VI R 144/00, BFH/NV 2002, 482).
2. Ein Mangelfall ist anzunehmen, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes einschließlich der Unterhaltsleistungen des Ehepartners niedriger sind als das steuerrechtliche – dem Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entsprechende – Existenzminimum.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG
Sachverhalt
Die verheiratete Tochter des Klägers war im Streitjahr 2003 Studentin und erhielt Zuschüsse sowie unverzinsliche Darlehen nach dem BAföG. Außerdem wandte ihr der Kläger monatlich Barbeträge zu.
Nach erfolglosem Einspruch gab das FG der Klage statt (EFG 2006, 1530).
Entscheidung
Der BFH sah dies anders. Da die Zuwendungen des Klägers an seine Tochter und die von ihr bezogenen BAföG-Darlehen bei der Schätzung der Unterhaltsleistungen des Ehepartners nicht als – die Unterhaltsverpflichtung des Ehepartners mindernde – eigene Mittel der Tochter angesetzt werden dürfen, ergaben sich Unterhaltsleistungen des Ehepartners, die zusammen mit den eigenen Einkünften/Bezügen der Tochter den Jahresgrenzbetrag von 7.188 € überstiegen. Es lag somit kein zu einem Kindergeldanspruch führender Mangelfall vor.
Hinweis
Der Familienleistungsausgleich realisiert das verfassungsrechtliche Gebot aus Art. 3 GG, die verminderte Leistungsfähigkeit der Eltern gegenüber ihren Kindern sachgerecht zu berücksichtigen. Daher setzt der Kindergeldanspruch eine typische Unterhaltssituation zwischen Eltern und Kindern voraus. Nach der Eheschließung des Kindes besteht eine solche Unterhaltssituation jedoch grundsätzlich nicht mehr, da ab diesem Zeitpunkt in erster Linie der Ehegatte zum Unterhalt verpflichtet ist.
Für ein verheiratetes Kind ohne ausreichende eigene Mittel besteht daher ein Kindergeldanspruch nur dann, wenn auch die Einkünfte des Ehepartners für den vollständigen Unterhalt des Kindes nicht ausreichen und daher die Eltern weiterhin unterhaltspflichtig sind (sog. Mangelfall).
Ein solcher Mangelfall liegt bei einer kinderlosen Ehe nur dann vor, wenn die eigenen Einkünfte/Bezüge des Kindes einschließlich der Unterhaltsleistungen seines Ehepartners unterhalb des steuerrechtlichen Existenzminimums liegen. Dieses Existenzminimum eines Erwachsenen entspricht dem Grenzbetrag der eigenen Einkünfte/Bezüge nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG (im Streitjahr 2003: 7.188 €; seit 2004: 7.680 €).
Entscheidend ist daher, mit welchem Betrag die Unterhaltsleistungen des Ehepartners zu schätzen sind. Der BFH geht davon aus, dass in einer kinderlosen Alleinverdienerehe dem nicht verdienenden Ehepartner etwa die Hälfte des Nettoeinkommens des verdienenden Ehepartners zufließt. Verfügt das Kind über eigene Mittel, wird unterstellt, dass die Eheleute ihr Einkommen teilen. Daher sind Unterhaltsleistungen in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen den Einkünften des höher verdienenden und des mit geringeren Mitteln ausgestatteten Ehepartners anzunehmen. Das gilt jedoch nur, soweit dem unterhaltsverpflichteten Ehepartner selbst ein verfügbares Einkommen in Höhe des steuerrechtlichen Existenzminimums (Jahresgrenzbetrag) verbleibt.
Bei der Berechnung der Unterhaltsleistungen des Ehepartners ist zu beachten:
- Zuwendungen der Eltern an ihr Kind sind nicht als eigene Mittel des Kindes zu berücksichtigen. Sie mindern daher den Unterhaltsanspruch gegenüber dem Ehegatten nicht. Dies widerspräche dem zivilrechtlichen Vorrang der Unterhaltspflicht des Ehepartners vor der Unterhaltsverpflichtung der Eltern (§ 1608 Satz 1 BGB).
- Ebenso mindern die dem Kind im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) gewährte Darlehen – anders als BAföG-Zuschüsse – nicht die zivilrechtliche Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehepartner. Denn Darlehen werden wegen der Rückzahlungsverpflichtung nicht den zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung geeigneten Bezügen i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zugerechnet (ebenso Abschn. 63.4.2.6 Abs. 2 DA-FamEStG).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.4.2007, III R 65/06