Leitsatz
Der Wohnsitz im Inland muss nicht den Mittelpunkt der Lebensinteressen darstellen. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken oder ein Aufenthalt, der nur Besuchscharakter hat, reichen jedoch nicht aus. Insofern dient die Sechs-Monats-Regelung des § 9 AO als Anhaltspunkt.
Sachverhalt
Die Klägerin ist tunesische Staatsangehörige. Die Familienkasse (FK) gewährte der Klägerin Kindergeld für ihren Sohn für die Zeit von März bis einschließlich Oktober 2009. Mit Bescheid v. 9.12.2011 hob die FK die Kindergeldfestsetzung jedoch ab 1.11.2009 mit der Begründung auf, dass die Klägerin ab diesem Zeitpunkt keinen Wohnsitz mehr im Bundesgebiet habe und daher die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht mehr vorlägen. Mit ihrer Klage trägt die Klägerin vor, sie lebe seit 2003 in der angegebenen Wohnung bei ihrem Bruder. Allein daraus, dass der Zutritt zur Wohnung verweigert worden sei, könne nicht geschlossen werden, dass sie nicht in der Wohnung wohne. Es handle sich um einen Einzimmerwohnung mit Küche und Bad, die sie sich mit ihrem Bruder teile. Sie besitze einen eigenen Schlüssel.
Entscheidung
Nach Auffassung des FG liegen die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG vor, da die Klägerin im Inland einen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ein solcher hat nach § 9 AO jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilt, wobei als gewöhnlicher Aufenthalt stets ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen ist. Dies gilt nicht, wenn der Aufenthalt ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken genommen wird und nicht länger als ein Jahr dauert. Das FG ist nach Durchführung der mündlichen Verhandlung überzeugt, dass die Klägerin im Streitzeitraum ihren gewöhnlicher Aufenthalt i.S.v. § 9 AO in Deutschland hatte. Nach den vorgelegten Originalpässen und den dort eingetragenen Einreise- und Ausreisestempeln in Tunesien war die Klägerin nur in den Zeiten vom 11.6.2010 bis 27.8.2010, 12.10.2010 bis 15.10.2010, 10.1.2011 bis 18.3.2011 und vom 2.5.2011 bis 9.5.2011 in Tunesien. Auch der Zeuge hat bestätigt, dass sie nur im Jahr 2010 im Ausland gewesen sei.
Hinweis
Da das FG die Rechtslage in Teilen anders beurteilt als die FK, dadurch weitere Ermittlungen notwendig werden und die Rechtssache im Übrigen unzureichend aufgeklärt war, hat das FG die Sache nach § 100 Abs. 3 FGO an die FK zurückverwiesen, um die Sache entscheidungsreif zu machen und weiter aufzuklären.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil vom 25.07.2012, 9 K 964/12