Ass. jur. Viola C. Didier
Leitsatz
Streitet das Kind mit der Familienkasse erfolgreich um die Abzweigung des an den Vater gezahlten Kindergelds, so sind die Kosten des Einspruchsverfahrens und der Hinzuziehung des Bevollmächtigten notwendige zu erstattende Kosten.
Sachverhalt
Die Klägerin beantragte bei der Familienkasse die Abzweigung des an ihren Vater für sie gezahlten Kindergelds, weil ihr Vater keinen Unterhalt leistete. Die Familienkasse lehnte die Abzweigung ab. Hiergegen erhob die Klägerin mithilfe ihres Anwalts Einspruch und legte dar, dass sie nicht im Haushalt ihres Vaters lebe - die Mutter ist verstorben - und dass ihr Vater das Kindergeld einbehalte. Daraufhin entsprach die Familienkasse dem Abzweigungsantrag.
Eine Erstattung der im Einspruchsverfahren entstandenen Kosten lehnte sie jedoch ab.
Entscheidung
Vor Gericht hatte die Klägerin Erfolg. Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG kommt eine Erstattung von Kosten des Vorverfahrens für Einsprüche "gegen die Kindergeldfestsetzung" in Betracht. Ob eine Kostenerstattung über den Wortlaut des § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG hinaus auch bei Einspruchsverfahren infrage kommt, die sonstige Verwaltungsakte in Kindergeldsachen zu Gegenstand haben, wie namentlich Bescheide im Abzweigungsverfahren ist in der Literatur umstritten (dagegen Bergkemper, in Hermann/Heuer/Raupach, EStG, § 77 EStG Rz. 2; Dürr, in Frotscher, EStG, § 77 EStG Rz. 4; wohl auch Felix, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 77 EStG Anm. B3; dafür Helmke, in Helmke/Bauer, A.I., EStG, § 77 EStG Rz. 5; Pust, in Littmann, EStG, § 77 EStG, Rz. 4; Greite, in Korn, EStG, § 77 Rz. 4 EStG; Reuß, in Bordewin/ Brandt, EStG, § 77 EStG Rz. 5; Claßen, in Lademann, EStG, § 77 EStG Rn. 2) und ist finanzgerichtlich bislang noch nicht entschieden worden.
Das Finanzgericht ging von einer Kostenerstattung nach § 77 Abs. 1 EStG auch in Abzweigungsfällen aus. § 63 SGB X ermöglichte vor der Neuregelung des Kindergeldrechts durch das Jahressteuergesetz 1996 eine Kostenerstattung grundsätzlich für alle erfolgreichen Widerspruchsverfahren in Kindergeldsachen. Eine Abzweigung des Kindergelds an das Kind war nach der Regelung des § 48 SGB I, welcher § 74 Abs. 1 EStG nachgebildet ist, ebenfalls vorgesehen, sodass sich die Kostenerstattung nach § 63 SGB X grundsätzlich auch auf derartige Fallkonstellationen erstreckte. Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 13/1558, 162) sollte durch § 77 EStG eine Schlechterstellung gegenüber dem bisherigen Recht vermieden werden. Dieses erklärte Ziel würde bei einer engen Wortlautauslegung verfehlt.
Im Übrigen sei auch kein Grund erkennbar, dem Einspruchsführer in Abzweigungsfällen eine Erstattung seiner notwendigen Aufwendungen zu verwehren (so auch Bergkemper, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 77 EStG Anm. 2).
Hinweis
Ferner war in diesem Fall auch die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten, der nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt ist, notwendig. Dies sei, so die Richter, aus der Sicht eines verständigen Bürgers vom Wissens- und Erkenntnisstand des Rechtsbehelfsführers zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2003, S. 25). Bei der Entscheidung hierüber seien deshalb auch die zu § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO entwickelten Kriterien entsprechend heranzuziehen (vgl. FG München, Urteil v. 25.7.2007, 4 K 29/04, EFG 2007, S. 1704). Regelmäßig sind dabei keine allzu strengen Maßstäbe anzulegen. Vor dem Hintergrund, dass die Grundsätze, wann eine Abzweigung in Betracht kommt und wann nicht, dem rechtlichen Laien nicht bekannt sind und dass gegebenenfalls auch anwaltliche Beratung hinsichtlich der Form der Einspruchserhebung vonnöten ist (vgl. dazu BFH, Urteil v. 23.7.2002, VIII R 73/00, BFH/NV 2003, S. 25), ist die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten als erforderlich anzusehen.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil vom 18.07.2012, 12 K 3884/11 Kg