Leitsatz
1. Hat die Agentur für Arbeit das arbeitsuchende Kind aus der Vermittlung abgemeldet, fehlt es aber an einer wirksamen Bekanntgabe der Einstellungsverfügung nach § 38 Abs. 3 Satz 2 SGB III in der ab 1.1.2009 geltenden Fassung (SGB III n.F.), hängt der Fortbestand der Arbeitsuchendmeldung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG davon ab, ob das arbeitsuchende Kind eine Pflichtverletzung begangen hat, welche die Agentur für Arbeit nach § 38 Abs. 3 Satz 2 SGB III n.F. zur Einstellung der Vermittlung berechtigt hat.
2. Ist in einem solchen Fall die Vermittlung mangels einer beachtlichen Pflichtverletzung des arbeitsuchenden Kindes zu Unrecht eingestellt worden, besteht die Arbeitsuchendmeldung für Zwecke des Kindergeldrechts zeitlich unbefristet – ggf. bis zum Erreichen des 21. Lebensjahres – fort.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG, § 38 Abs. 2, § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III a.F., § 37, § 38 Abs. 2, § 38 Abs. 3 Sätze 2 und 3 SGB III n.F., § 31 SGB X
Sachverhalt
Der 1990 geborene Sohn des Klägers (S) war seit April 2009 bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldet. Arbeitslosengeld bezog er nicht. Er setzte sich letztmals im August 2009 mit der Agentur in Verbindung. Anfang Dezember 2009 nahm er einen Termin ohne Angabe von Gründen nicht wahr. Nachdem S auf die schriftliche Ankündigung, die Arbeitsvermittlung einzustellen, nicht reagiert hatte, meldete die Agentur ihn aus der Arbeitsvermittlung ab und teilte ihm im Januar 2010 schriftlich mit, dass sie die Arbeitsvermittlung einstelle. Der Zugang beider Schreiben ließ sich indessen nicht feststellen.
Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung im November 2010 mit Wirkung ab Februar 2010 auf. Das FG gab der Klage statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 1.3.2012, 14 K 1209/11 Kg, Haufe-Index 3038845, EFG 2012, 1476).
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies die Sache zurück. Im zweiten Rechtsgang ist zu prüfen, ob S eine von § 38 Abs. 3 Satz 2 SGB III n.F. erfasste Pflichtverletzung begangen hat.
Hinweis
1. Kinder werden u.a. berücksichtigt, wenn sie das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen und bei der Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet sind. Nach bisheriger Rspr. wirkte die Meldung bei der Agentur nur drei Monate fort. Meldete sich das Kind danach nicht erneut als Arbeitsuchender, entfiel der Kindergeldanspruch (z.B. BFH, Urteil vom 24.5.2012, III R 4/06, BFH/NV 2012, 1436). Diese Rspr. ist aufgrund der Änderung des auch steuerrechtlich maßgeblichen § 38 SGB III mit Wirkung vom 21.12.2008 überholt.
2. Nach § 38 Abs. 3 SGB III n.F. endet die Pflicht zur Vermittlung des Arbeitsuchenden nicht mehr nach drei Monaten, sondern besteht grundsätzlich unbefristet fort. Allerdings kann die Agentur die Vermittlung von Arbeitsuchenden, die keine Leistungen beziehen, bei beachtlichen Pflichtverletzungen für zwölf Wochen einstellen. Die Einstellungsverfügung ist ein Verwaltungsakt, dem – was der BFH offengelassen hat – Tatbestandswirkung zukommen dürfte, sodass die Familienkassen und das FG an ein dadurch ausgelöstes Erlöschen der Arbeitsuchendmeldung gebunden wären.
3. Das FG hatte der Klage stattgegeben, weil der Zugang der Einstellungsverfügung im Streitfall nicht nachgewiesen war. Der BFH widersprach: Die Arbeitsuchendmeldung könnte auch bei unterbliebenem Zugang der Einstellungsverfügung erloschen sein, wenn das arbeitsuchende Kind eine die Agentur zur Einstellung der Vermittlung berechtigende Pflichtverletzung nach § 38 Abs. 3 Satz 2 SGB III n.F. begangen hatte. Im Falle einer nicht wirksam bekannt gegebenen Einstellungsverfügung und einer im Übrigen unberechtigten Einstellung der Vermittlung würde dagegen der Vermittlungsanspruch des arbeitsuchenden Kindes und mithin auch der Kindergeldanspruch fortbestehen.
4. Dem Arbeitsuchenden obliegt gegenüber der Agentur keine ungeschriebene Melde- oder Erkundigungspflicht, da der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 38 SGB III n.F. mehr Transparenz für die Beteiligten schaffen wollte.
5. Die Konsequenzen des Urteils sind für die Familienkasse gravierend: Wenn das Kind bei der Arbeitsvermittlung nicht mehr mitwirkt und auf Schreiben nicht reagiert, bedarf es zum Erlöschen des Kindergeldanspruchs
- entweder der wirksam bekannt gegebenen Vermittlungseinstellung, die nur durch förmliche Zustellung der Einstellungsverfügung sicher nachgewiesen werden kann, oder
- des Nachweises einer Pflichtverletzung des Kindes. Da das Kind aber keine Meldepflicht mehr hat, setzt die Pflichtverletzung praktisch gesehen ebenfalls voraus, dass die Mitwirkungsaufforderung (z.B.: einen Vorsprachetermin wahrzunehmen) nachgewiesen werden kann, was wiederum deren förmliche Zustellung erfordert.
Anderenfalls kann der Kindergeldanspruch auch für ein vollständig passives Kind zeitlich unbefristet bis zum Erreichen des 21. Lebensjahres fortbestehen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 10.4.2014 – III R 19/12