Leitsatz
Das Wesen eines Wohnsitzes besteht nicht nur darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit zur Verfügung steht, sondern auch darin, dass diese von ihm subjektiv zu einem Aufenthalt mit Wohncharakter bestimmt ist. In dieser subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz. Bei Kindern, die zum Zwecke der Ausbildung auswärtig untergebracht sind, reicht es für einen Inlandswohnsitz daher nicht aus, wenn die elterliche Wohnung dem Kind weiterhin zur Verfügung steht.
Sachverhalt
Die Tochter des Klägers studierte in China und bewohnte während des Semesters ein möbliertes Mehrbettzimmer. Während der vorlesungsfreien Zeit hielt sie sich im Haushalt des Klägers im Inland auf, wo sie jeweils nur für die Semesterferien gemeldet war. Die Familienkasse hat den Antrag auf Gewährung des Kindergeldes abgelehnt, da die Tochter keinen Wohnsitz im Inland habe. Gegenüber dem Finanzgericht trägt der Kläger vor, seine Tochter verfüge im elterlichen Haus ihr eigenes Zimmer nebst eigenem Mobiliar. Sie besitze Haus- und Zimmerschlüssel und habe sich dort mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufgehalten. Auch wenn sich die Tochter formal nach dem Meldegesetz abgemeldet habe, könne die Familienkasse nicht den Schluss ziehen, dass sie die Wohnung tatsächlich und endgültig verlasse.
Entscheidung
Die Klage ist begründet. Das Finanzgericht vertritt die Auffassung, dass Kinder, die sich zum Zwecke des Studiums für mehrere Jahre ins Ausland begeben, ihren Wohnsitz bei den Eltern nur dann beibehalten, wenn sie die Wohnung bei den Eltern in ausbildungsfreien Zeiten nutzen. Da die ausbildungsfreien Zeiten von der Art bzw. der Gestaltung des Studiums abhängen können, kann eine Mindestdauer der Inlandsaufenthalte nicht verlangt werden. Erforderlich ist jedoch im Regelfall, dass die ausbildungsfreien Zeiten zumindest überwiegend im Inland verbracht werden und es sich um Inlandsaufenthalte handelt, die Rückschlüsse auf ein zwischenzeitliches Wohnen zulassen.
Hinweis
Das rechtskräftige Urteil des Finanzgerichts entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, wonach es für die Beurteilung von Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt auf die tatsächlichen und nicht auf die melderechtlichen Verhältnisse ankommt. Außerdem stellt das Finanzgericht zutreffend fest, dass es für die Begründung eines Wohnsitzes regelmäßig nicht ausreichend ist, wenn bei mehrjährigen Auslandsaufenthalten nur kurze, üblicherweise durch die Eltern-Kind-Beziehungen begründete Besuche durchgeführt werden. Dies ist bei lediglich kurzzeitigen Aufenthalten - zwei bis drei Wochen pro Jahr - nach der Lebenserfahrung der Fall.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil vom 23.02.2015, 7 K 475/13