Leitsatz
1. Während eines mehrjährigen Auslandsaufenthalts zum Zwecke einer Berufsausbildung behält ein Kind seinen Wohnsitz in der Wohnung der Eltern im Inland im Regelfall nur dann bei, wenn es diese Wohnung zumindest überwiegend in den ausbildungsfreien Zeiten nutzt.
2. Für die Beibehaltung eines Inlandswohnsitzes im Hause der Eltern bei mehrjährigen Auslandsaufenthalten reichen nur kurze, üblicherweise durch die Eltern-Kind-Beziehung begründete Besuche regelmäßig nicht aus. Dies ist bei lediglich kurzzeitigen Aufenthalten – zwei bis drei Wochen pro Jahr – nach der Lebenserfahrung der Fall.
3. Für die Beibehaltung eines Wohnsitzes sind die tatsächlichen Verhältnisse ohne Rücksicht auf subjektive Momente oder Absichten entscheidend.
Normenkette
§ 63 Abs. 1 Satz 3, § 32 Abs. 1, § 32 Abs. 6, § 31 Satz 3 EStG, § 8 AO
Sachverhalt
Die Tochter des Klägers (T) absolvierte nach ihrem Abitur ab August 2008 ein einjähriges Au-pair-Programm in den USA, das einen Sprachkurs von zehn Wochenstunden umfasste. In dieser Zeit entschloss sie sich zu einem Studium in New York, das im September 2009 begann und 2014 abgeschlossen werden soll.
Während ihres USA-Aufenthalts stand T ihr ehemaliges Kinderzimmer im väterlichen Wohnhaus zur Verfügung. Im Streitzeitraum hielt sie sich vom 18.12.2009 bis zum 4.1.2010, vom 11.2.2011 bis zum 1.4.2011 und vom 1.8.2011 bis zum 4.9.2011 dort auf und außerhalb des Streitzeitraums vom 20.12.2011 bis zum 3.1.2012, vom 3.2.2012 bis zum 6.3.2012 und vom 4.4.2012 bis zum 16.4.2012.
Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 2009 auf, weil T seitdem keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland mehr gehabt habe.
Die Klage war erfolgreich. Zur Begründung führte das FG Berlin-Brandenburg vom 28.10.2013 (10 K 10236/11, Haufe-Index 6794509) im Wesentlichen aus, T habe ihren Wohnsitz im Inland beibehalten. Der Umstand, dass T nicht die gesamte ausbildungsfreie Zeit in der inländischen Wohnung verbracht habe, sei nicht ausschlaggebend, weil dies nicht auf einer Loslösung von der inländischen Wohnung, sondern auf fehlenden finanziellen Mitteln beruht habe. Die Sichtweise der Familienkasse würde dazu führen, dass wohlhabende Eltern, die höhere Flugkosten tragen könnten, eher in den Genuss von Kindergeld kämen.
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies zurück. Da der Au-pair-Aufenthalt zunächst nur für ein Jahr geplant war, ist im zweiten Rechtsgang festzustellen, wann T sich zum Auslandsstudium entschlossen und damit die Absicht zur Rückkehr innerhalb eines Jahres aufgegeben hat; in diesem Moment könnte sie ihren inländischen Wohnsitz aufgegeben haben. Darüber hinaus sind u.a. Feststellungen zu ausbildungsfreien Zeiten und zu deren Verhältnis zu den Inlandsaufenthalten zu treffen.
Hinweis
1. Für Kinder, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt weder im Inland noch einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat haben und auch nicht im Haushalt eines Berechtigten i.S.d. § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG leben, wird kein Kindergeld gewährt (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG). Das Existenzminimum dieser Kinder wird nur durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG von der Besteuerung freigestellt, die keine unbeschränkte Steuerpflicht des Kindes voraussetzen.
2. Der Begriff des Wohnsitzes (§ 8 AO) ist durch langjährige ständige Rechtsprechung geklärt. Ein Wohnsitz erfordert zum dauerhaften Bewohnen geeignete Räume, über die der Betreffende tatsächlich verfügen kann und die er als Bleibe entweder ständig nutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit – wenn auch in größeren Zeitabständen – aufsucht. Eine Nutzung nur für Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte oder zu Verwaltungszwecken genügt nicht.
3. Während die Rechtsprechung zum Ertragsteuerrecht vielfach eine geringe Bindung zu einer inländischen Wohnung genügen lässt, sind die Anforderungen an die Beibehaltung des Wohnsitzes in der elterlichen Wohnung recht hoch, wenn Kinder zwecks Schul-, Hochschul- oder Berufsausbildung im Ausland untergebracht sind. Gefordert wird, dass eine über das Familienverhältnis hinausgehende Beziehung besteht und das Kind die elterliche Wohnung nach wie vor auch als seine eigene betrachtet.
4. Kriterien für die Beibehaltung oder die Aufgabe eines inländischen Wohnsitzes sind
- die voraussichtliche Dauer der auswärtigen Unterbringung. Bei voraussichtlicher Rückkehr innerhalb eines Jahres liegt regelmäßig keine Aufgabe des Wohnsitzes vor, sodass die Beibehaltung des Wohnsitzes keine zwischenzeitlichen Inlandsaufenthalte erfordert,
- die Art der Unterbringung am Ausbildungsort auf der einen und im Elternhaus auf der anderen Seite,
- der Zweck des Auslandsaufenthalts,
- die persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits und
- die Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte: Bei einem auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalt genügt ein nur gelegentliches Verweilen für kurze Zeiträume zu Urlaubs-, Besuchs- oder familiären Zwecken, z.B....