Leitsatz
Hat der - Leistungen nach dem SGB II beziehende - Kindesvater seinen Wohnsitz in Deutschland, hat seine (getrennt lebende, in Deutschland durch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung beschränkt steuerpflichtige) Ehefrau mit den beiden Kindern einen Wohnsitz in Frankreich und ist sie dort auch als deutsche Staatsangehörige zum Bezug von französischen Kinderleistungen berechtigt, weil sie in Frankreich wohnhaft ist, ihren beiden Kindern Unterhalt in ihrem Haushalt gewährt, so ist der Anspruch des Kindsvaters auf Kindergeld nach deutschem Recht für die Jahre 2006 bis 2008 gegenüber dem Anspruch seiner Ehefrau auf Kindergeld nach französischem Recht nicht vorrangig. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Art. 10 der VO EWG Nr. 574/72 i. V. m. Nr. 1408/71).
Sachverhalt
Der Kläger hat seinen Wohnsitz in Deutschland, seine Ehefrau lebt seit 2001 mit den Kindern in Frankreich. Der Kläger ist arbeitslos und bezieht seit 2005 Leistungen nach dem SGB II. Seine Ehefrau ist nicht erwerbstätig, erzielt aber Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Deutschland. Sie wird seit 1999 beim Finanzamt W. als beschränkt steuerpflichtig geführt. Die Familienkasse (FK) lehnte die Gewährung von Kindergeld ab, da eine vorrangige Leistungspflicht in Deutschland nicht bestehe, so dass der Anspruch in Frankreich den Anspruch in Deutschland nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausschließe. Dagegen trägt der Kläger vor, dass ein Anspruch auf Kindergeld in Frankreich nicht bestehe, und dass nach Art. 68 Abs. 1 Buchst. a) der EG-VO Nr. 883/2004 derjenige Staat die Leistungen zu gewähren habe, in dem eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt werde. Da seine Ehefrau ihr Einkommen ausschließlich in Deutschland erziele, seien die Leistungen vorrangig in Deutschland zu gewähren.
Entscheidung
Nach Auffassung des FG schließen sich die Ansprüche des Kindesvaters auf Kindergeld in Deutschland bzw. der Ehefrau auf französisches Kindergeld gem. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gegenseitig aus, da es sich bei dem französischen Kindergeld (allocations familiales) um eine dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistung handelt; der Ausschluss durch § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG entfällt auch nicht deshalb, weil der Ehefrau das Kindergeld in Frankreich nach der dort ab 2006 maßgeblichen Rechtslage nicht für beide Kinder, sondern erst für das 2 Kind zusteht. Erfährt die FK erst nachträglich, dass der Kindesvater seit mehreren Jahren Leistungen nach dem SGB II bezieht, und dass er dadurch seitdem nicht mehr dem Anwendungsbereich der EWG Verordnungen Nr. 1408/71 und 574/72 unterfällt und deswegen in Deutschland keinen Kindergeldanspruch mehr hat, so ist die Familienkasse nach § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG zu einer Änderung der Kindergeldfestsetzung und zur Rückforderung des Kindergelds berechtigt.
Hinweis
Das vorstehende Urteil ist rechtskräftig. Die Frage, wie das Verhältnis der einzelnen Vorschriften der EG-Verordnung in Kindergeldfragen und die Vorschriften der §§ 62 ff. EStG zu beurteilen ist, hat in den letzten Monaten zu zahlreichen beim BFH anhängigen Revisionen geführt. Die folgende Aufzählung der Az. ist nur beispielhaft: V R 11/13, XI R 28/12, XI R 55/10, XI R 56/10 III R 7/13, III R 8/13, V R 63/10, V R 64/10.
Link zur Entscheidung
FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.12.2012, 4 K 950/09