Leitsatz
Ist eine polnische Staatsangehörige in Deutschland ansässig und erwerbstätig, lebt ihr minderjähriger Sohn im Haushalt der Großmutter in Polen und erfüllen weder der (inhaftierte) Kindesvater noch die Großmutter die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Familienleistungen nach polnischem Recht, so ist nach der ab 1.5.2010 maßgeblichen Rechtslage Deutschland gemäß Art. 67 Satz 1 und Art. 11 VO (EG) Nr. 883/2004 zur Leistung von Kindergeld für das Kind verpflichtet. Aufgrund der Haushaltsaufnahme des Kindes bei der Großmutter ist diese gegenüber der Kindesmutter nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig kindergeldanspruchsberechtigt.
Sachverhalt
Die Klägerin, welche in Deutschland ansässig und erwerbstätig ist, ist polnische Staatsangehörige und Mutter eines im Jahr 1994 geborenen Sohnes, welcher im Haushalt der Großmutter in Polen lebt. Die Familienkasse lehnte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Kindergeld für den Sohn ab, weil der in Polen wohnhaften Großmutter, welche den Sohn in ihrem Haus in Polen betreut und versorgt, nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ein vorrangiger Kindergeldanspruch zustehe. Zur Begründung der Klage verweist die Klägerin auf das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 23.3.2011 (2 K 2248/10), wonach ein im EU-Ausland lebender Elternteil, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe, nicht vorrangig kindergeldberechtigt sei.
Entscheidung
Das FG hat die Klage als unbegründet zurückgewiesen. Aus der in Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) 987/2009 angeordneten sog. Familienbetrachtung folgt, dass für den Kindergeldanspruch alle Beteiligten (Kindesmutter, Kindesvater, Großmutter, Kind) so zu behandeln sind, als ob sie in Deutschland wohnen würden. Daraus ergibt sich, dass entgegen der Ansicht der Klägerin Deutschland ihr gegenüber nicht zur Leistung von Kindergeld verpflichtet ist. Das FG Rheinland- Pfalz übersieht in seinem Urteil v. 23.3.2011 (2 K 2248/10), dass Art. 67 Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 und Art. 60 Abs. 1 Satz 2 DVO (EG) 987/2009 den nationalen deutschen Kindergeldregelungen vorgehen und nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 DVO (EG) 987/2009 zu fingieren ist, dass alle beteiligten Personen unter die deutschen Rechtsvorschriften fallen und in Deutschland wohnen.
Hinweis
Die von dem FG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassene Revision wurde eingelegt und trägt das Az. III R 69/11. Betroffene sollten daher bei vergleichbaren Sachverhalten unter Hinweis auf dieses Verfahren gegen abweichende Entscheidungen der Familienkasse Einspruch einlegen und auf das Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 AO verweisen.
Link zur Entscheidung
FG Bremen, Urteil vom 10.11.2011, 3 K 26/11 (1)