Ein Konzern und damit auch eine Konzernabschlusspflicht entstehen durch das Vorliegen einer Mutter-Tochter-Beziehung. IFRS 10.A definiert dementsprechend den Konzern (group) als "ein Mutterunternehmen und seine Tochterunternehmen" ("a parent and its subsidiaries"). Damit stellt sich die Frage, wann eine Mutter-Tochter-Beziehung anzunehmen ist. Nach der Definition in IFRS 10.A setzt eine Mutter-Tochter-Beziehung eine Beherrschung (Kontrolle) voraus. Die Beherrschung ergibt sich gemäß IFRS 10.7 aus der kumulativen Erfüllung von drei Voraussetzungen: Ein Investor beherrscht ein Beteiligungsunternehmen (investee), wenn er
- die Verfügungsgewalt (power) über das Beteiligungsunternehmen hat und
- Risiken und/oder Chancen aus Verlusten/Erträgen aus seinem Engagement in dem Beteiligungsunternehmen ausgesetzt ist (variable returns), wobei
- zwischen beidem eine Verbindung besteht, d. h. der Investor die Verfügungsgewalt nutzen kann, um die Chancen und Risiken zu beeinflussen (linkage between power and returns).
Diese einheitlich für alle Arten von Unternehmen geltende Definition von Kontrolle unterscheidet sich vom früheren Recht. Nach diesem standen zwei Konsolidierungskonzepte nebeneinander:
- "Normale" Unternehmen wurden gemäß IAS 27 nach dem Kriterium der Entscheidungsgewalt/Macht (power) dann als Tochterunternehmen qualifiziert, wenn ein übergeordnetes Unternehmen insbesondere durch Stimm- bzw. Organbesetzungsrechte die Fähigkeit hatte, die Geschäfts- und Finanzpolitik des untergeordneten Unternehmens zu bestimmen.
- Zweckgesellschaften (special purpose entities – SPEs) wurden hingegen gemäß SIC-12 dann vollkonsolidiert, wenn der Investor die Mehrheit der Chancen und Risiken trug.
Dieses Nebeneinander zweier Konzepte wird in IFRS 10 (theoretisch) durch ein einheitliches Konsolidierungskonzept ersetzt. Gleichwohl bestehen in der praktischen Anwendung der Kontrollkriterien weiterhin Unterschiede zwischen "normalen" Unternehmen und in IFRS 12 als structured entities bezeichneten "Zweckgesellschaften":
- Bei breit operierenden Unternehmen können die relevanten Aktivitäten in der Regel nur über Stimmrechte oder äquivalente Instrumente (etwa Beherrschungsverträge) bestimmt werden. Die amerikanische Praxis spricht demzufolge von voting interest entities oder voting control entities. Regelmäßig ist mit dem Stimmrecht auch eine Beteiligung am Kapital und den Ergebnissen verbunden und damit eine Variabilität der Rückflüsse. Ebenso regelmäßig werden über die Stimmrechte oder über stimmrechtsähnliche Instrumente die Rückflüsse beeinflusst (IFRS 10.B11 und IFRS 10.B16).
- Bei Unternehmen mit enger Zwecksetzung, etwa Leasingobjekt- oder ABS-Gesellschaften, ist es hingegen möglich und üblich, die Aktivitäten in weitem Maße durch schuld- oder gesellschaftsrechtliche Regelungen im Vorhinein zu bestimmen (sog. Autopilot), sodass sich die Entscheidungsspielräume der Exekutivorgane oder der Gesellschafter häufig auf Administratives (z. B. Besorgen der Buchhaltung, Feststellung des Jahresabschlusses usw.) beschränken. Den Stimmrechten kommt bei diesen non-voting entities keine überragende Bedeutung zu. Entscheidungsgewalt wird vielmehr über die Festlegung von Struktur und Zweck der Einheit (purpose and design) und spezielle Beziehungen (etwa als Finanzier, einziger Kunde usw.) ausgeübt. Dabei besteht die begründete Vermutung, dass bei hoher Teilhabe eines Investors an den Risiken und Chancen dieser auch die Entscheidungsgewalt über Gründungsverträge oder in sonstiger Weise zu seinen Gunsten geregelt hat (IFRS 10.B17).
Die Unterschiedlichkeit von normalen und Zweckgesellschaften lebt damit zwar nicht konzeptionell, aber in der praktischen Anwendung von IFRS 10 weiter. Aus praktischer Sicht bedeutet dies etwa:
- Bestehen in einem "normalen" Unternehmen klare Stimmrechtsmehrheiten, ist damit die Kontrollfrage regelmäßig schon beantwortet. Einer detaillierten Untersuchung von Zweck und Struktur des Unternehmens, Risiko-Chancen-Verteilung, besonderen Beziehungen usw. bedarf es dann in der Regel nicht.
- Umgekehrt sind bei einem strukturierten Unternehmen (Zweckgesellschaften) die Stimmrechte regelmäßig von geringem Interesse und deshalb die anderen genannten Faktoren eingehend zu untersuchen.
Dieser praktischen Differenzierung folgend behandelt auch die nachfolgende Darstellung beide Unternehmenstypen getrennt.