Leitsatz
1. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. n der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass der Begriff der anderen ... anerkannten Einrichtungen als Einzelunternehmer auftretende Solisten nicht ausschließt.
2. Aus der Überschrift des Art. 13 Teil A dieser RL als solcher ergeben sich keine Einschränkungen der Möglichkeiten der Steuerbefreiung nach dieser Bestimmung.
Normenkette
Art. 13 Teil A Buchst n der 6. EG-RL , § 4 Nr. 20 UStG
Sachverhalt
Herr Hoffmann hatte keine Umsatzsteuer auf Gagen, die er 3 in Deutschland auftretenden Gesangssolisten bezahlt hatte, einbehalten und abgeführt. Im Strafverfahren berief er sich auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 UStG. Der BGH hatte Zweifel, ob die Einschränkung u.a. auf Chöre und Kammermusikensembles sich mit der Entscheidung des EuGH, Einrichtung i.S.d. Richtlinie könne auch eine natürliche Person sein, vereinbaren ließe.
Entscheidung
Der EuGH entschied, dass die Richtlinie keine solche Einschränkung enthalte. Unter diesen Umständen kann sich der Einzelne auf die ihm günstigere Richtlinienregelung berufen, solange der Gesetzgeber nicht eine der nach der Richtlinie zulässigen Einschränkungen formuliert. Beachten Sie: Wird einem Unternehmer von der zuständigen Landesbehörde bescheinigt, dass er die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 UStG aufgezählten Einrichtungen erfüllt, kommt eine unmittelbare Berufung auf Art. 13 Teil A Buchst. n der 6. EG-RL in Betracht.
Hinweis
Nach § 4 Nr. 20 sind steuerfrei
a) die Umsätze folgender Einrichtungen des Bundes, der Länder: u.a. Orchester, Kammermusikensembles, Chöre. Das Gleiche gilt für die Umsätze gleichartiger Einrichtungen anderer Unternehmer, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in Satz 1 bezeichneten Einrichtungen erfüllen ...
b) die Veranstaltung von Theatervorführungen und Konzerten durch andere Unternehmer, wenn die Darbietungen von den unter Buchstabe a bezeichneten Theatern, Orchestern, Kammermusikensembles oder Chören erbracht werden.
Der BFH hatte hierzu entschieden (Urteil vom 24.2.2000, V R 23/99, BFH/NV 2000, 934): Wenn § 4 Nr. 20 UStG neben den "Einrichtungen" der genannten öffentlich-rechtlichen Körperschaften auch die Umsätze "gleichartiger Einrichtungen anderer Unternehmer" befreie, enthalte die Vorschrift nach ihrem möglichen Wortsinn (zwar) keine Einschränkungen nach der Art des Unternehmens. Träger der "gleichartigen Einrichtung" könnten daher nicht nur juristische, sondern auch natürliche Personen oder deren Zusammenschlüsse sein.
Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG sei jedoch nicht (allein) tätigkeitsbezogen, sondern beschreibe mit der Formulierung "gleichartige Einrichtungen anderer Unternehmer" die Wirtschaftsteilnehmer, die neben den genannten Einrichtungen der Gebietskörperschaften Steuerbefreiung für ihre Umsätze beanspruchen können. Der Begriff "Einrichtung" sei deshalb nicht mit dem Begriff "Unternehmer" gleichzusetzen.
Der Gesetzgeber gehe in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG erkennbar davon aus, dass ein besonderes kulturelles Interesse an den dort genannten Einrichtungen bestehe, die aber wegen der hohen Vorhaltekosten und der bestehenden Schwierigkeit, entsprechende Eintrittspreise zu verlangen, typischerweise subventionsbedürftig sind und ohne die Befreiung höhere Subventionen benötigten.
Der BGH hatte in einer Strafsache Zweifel, ob die Einschränkung auf bestimmte Ensembles sich mit der Entscheidung des EuGH, Einrichtung i.S.d. Richtlinie könne auch eine natürliche Person sein, vereinbaren ließe. Auf eine entsprechende Vorlage hat nunmehr der EuGH entschieden, sei der kulturelle Charakter einer Leistung anerkannt, verbiete es der Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer, zwischen Gruppen und Solisten zu unterscheiden. Der Überlegung, dass die Beschränkung auf bestimmte Ensembles den typischerweise vorhandenen Subventionsbedarf berücksichtige, maß der EuGH keine Bedeutung bei; er verweist darauf, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, die Befreiungen von verschiedenen, in Art. 13 Teil A Abs. 2 der 6. EG-RL genau bezeichneten (!) Voraussetzungen abhängig zu machen, wie z.B. davon, dass keine systematische Gewinnerzielung angestrebt wird. Deshalb rechtfertige auch die Überschrift des Art. 13 Teil A der 6. EG-RL – "Befreiung bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten" – keine Einschränkung.
Beachten Sie: Für die in § 4 Nr. 20 UStG erwähnten Leistungen bedeutet das: Auch wenn die Solisten mit entsprechenden Leistungen nicht erwähnt sind, kann sich der Einzelne auf die ihm günstigere Richtlinienregelung berufen.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 3.4.2003, C-144/00