Entscheidungsstichwort (Thema)
Konzernhaftung. Durchgriffshaftung. Existenzgefährdender Eingriff
Leitsatz (redaktionell)
1. Ebenso wie es in der unternehmerischen Freiheit liegt, Aufträge überhaupt durchzuführen, liegt es in der unternehmerischen Freiheit, sie nicht mehr durchzuführen. Daher muss es auch in der unternehmerischen Freiheit eines im Konzern verbundenen Unternehmens liegen, diese Aufträge nicht mehr durchzuführen, während eine im Konzern tätige Gesellschaft sie durchführt. Die Übertragung darf allerdings nicht dazu dienen, Gläubigern den Zugriff auf das zur Erfüllung der Gesellschaftsverbindlichkeiten benötigte Vermögen zu ermöglichen.
2. Die Haftung aus dem Gesichtspunkt des sog. existenzvernichtenden Eingriffs ist auf die Fälle zu beschränken, in denen die GmbH vermögenslos ist. Findet hingegen ein Insolvenzverfahren statt, so gehören Ansprüche aus dem existenzvernichtenden Eingriff zur Insolvenzmasse. Sie sind vom Insolvenzverwalter einzuziehen und zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger zu verwenden.
Normenkette
GmbHG §§ 30-31; AktG §§ 302-303; BGB § 826
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Urteil vom 23.10.2002; Aktenzeichen 5 Ca 4124/02) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 23.10.2002 – 5 Ca 4124/02 EU – wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Beklagte zu 4) richtet, im übrigen als unbegründet zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Lohnforderungen einschließlich Weihnachtsgeld und eine Forderung wegen Nachteilsausgleichs, die der Kläger primär aus dem Arbeitsverhältnis zur ehemaligen Beklagten zu 1) ableitet. Über deren Vermögen wurde am 17.12.2000 das Insolvenzverfahren eröffnet. Das Arbeitsgericht hat in der Sitzung vom 23.10.2002 das Verfahren gegen die Beklagten zu 2) bis 4) abgetrennt und bezüglich dieser ein klageabweisendes Urteil erlassen, das Gegenstand des Berufungsverfahrens ist.
Diese Beklagten zu 2) – 4) – die Bezeichnung wurde nach der Reihenfolge der ursprünglichen Parteirolle beibehalten – nimmt der Kläger gesamtschuldnerisch wegen Ansprüchen auf Nachteilsausgleich, sowie die Beklagten zu 2) und 3) gesamtschuldnerisch wegen Lohnansprüchen einschließlich Weihnachtsgeld in Anspruch. Dabei beruft er sich gegenüber den Beklagten zu 2) und 3) auf „Grundsätze des qualifizierten faktischen Konzerns” und auf § 826 BGB; gegenüber der Beklagten zu 4) sieht er deren Mithaftung für den Nachteilsausgleich deshalb begründet, weil diese Teil eines Gemeinschaftsbetriebs mit der Beklagten zu 1) gewesen sei.
Der Kläger erhielt bei der Beklagten zu 1) einen Stundenlohn von 28,94 DM bei einer 35 Stundenwoche, 2,50 DM Pauschale für Kontoführungsgebühren und Vermögenswirksame Leistungen von 52,– DM monatlich. Er erhielt durchschnittlich 4.456,76 DM und war zum Zeitpunkt seiner Entlassung bei der Beklagten zu 1) 10,2 Jahre beschäftigt.
Die Beziehungen der Beklagten zu 1) – 3) untereinander (zur Entstehung der Beklagten zu 4) s. u.) stellten sich wie folgt dar:
Die Beklagten zu 1), 2) und 3) wurden – hinsichtlich der Beklagten zu 1) bis zum 11.07.2001 – organschaftlich vertreten von Herrn D. S.. Prokurist der Beklagten zu 1) war Herr K..
Bis zum 11.07.2001 hielt die Beklagte zu 2) nach Darlegung des Klägers sämtliche, nach Darlegung der Beklagten die Mehrheit der Geschäftsanteile der Beklagten zu 1).
Am 11.07.2001 wurden die Geschäftsanteile der Beklagten 1) an einen anderen Inhaber veräußert, zu dem auch keine faktische konzernrechtliche Verbindung mehr besteht. Herr S. wurde am gleichen Tag als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) abberufen. Bis zu diesem Tag befand sich die Beklagte zu 1) weder in Liquidation, noch waren Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gegeben.
52 % der Aktien der Beklagten zu 2) hält die Beklagte zu 3).
Bis zum Jahreswechsel 1999/2000 führte die Beklagte zu 2) nur Druckarbeiten aus. Der Satz war allein bei der Beklagten zu 1) angesiedelt.
Die Beklagte zu 1) unterhielt bis zum Jahre 2002 zwei Satzabteilungen. In der einen, der sog. Akzidenzabteilung, wurden Satz- und Montagearbeiten für hochwertige Produkte wie Briefpapier und aufwendige Broschüren durchgeführt. Der spätere Druck wird hierbei in einem anderen technischen Verfahren durchgeführt als im Zeitungsbereich. Er erfolgt auf sog. Bogendruckmaschinen.
Dem gegenüber erfolgten in der weiteren Abteilung, der Zeitungsabteilung, Satz – und Montagearbeiten für solche Druckverfahren, die später im sog. Rollen-Offsetdruck abgewickelt werden.
Viele Auftraggeber, die Druckaufträge vergeben, führen aus Kostengründen solche Satz- und Montagearbeiten selber durch.
In der Zeitungsabteilung der Beklagten zu 1) wurde der wesentliche Teil des Umsatzes mit zwei Hauptaufträgen gemacht, nämlich den Aufträgen „Extrablatt” und „Blickpunkt”. Der Kläger war beim Satz des „Extrablattes” beschäftigt.
Ab dieser Jahreswende wurde der „Blickpunkt” bei der Beklagten zu 2) gesetzt...