Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenz. Nachteilsausgleich. Interessenausgleich. Sozialplan. Masseunzulänglichkeit. Betriebsstilllegung. Betriebsänderung. Insolvenzeröffnung. Beginn nach Insolvenzeröffnung
Leitsatz (redaktionell)
Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG ist dann einfache Insolvenzforderung gem. § 38 InsO, wenn die Betriebsstilllegung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begonnen und der Versuch eines vorherigen Interessenausgleichs unterblieben ist, hingegen Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn die Betriebsänderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen und durchgeführt wird.
Normenkette
BetrVG § 113 Abs. 3; InsO §§ 38, 55 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 14.02.2006; Aktenzeichen 6 Ca 2392/05) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 14.02.2006 – 6 Ca 2392/05 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Nachteilsausgleichsanspruchs gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG im Rahmen eines Insolvenzverfahrens.
Der Kläger trat am 18.09.2000 als Maschinenbauingenieur in die Dienste der S. Ingenieurbüro und Apparatebau GmbH ein. Dort erzielte er zuletzt ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 2.500,00 EUR.
Am 01.07.2005 wurde über das Vermögen der S. Ingenieurbau und Apparatebau GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte, der bereits vorläufiger Insolvenzverwalter war, als Insolvenzverwalter bestellt.
Am 08.06.2005 führte er in dieser Funktion mit dem bei der späteren Schuldnerin gewählten Betriebsrat ein Erörterungsgespräch. Bei dieser Gelegenheit unterrichtete er den Betriebsrat über die beabsichtigte Betriebsstilllegung zum 30.09.2005. Eine entsprechende schriftliche Mitteilung richtete er mit Schreiben vom 22.06.2005 an den Betriebsrat (Abl. Bl. 17 d. A.).
Mit einem am 01.07.2005 beim Arbeitsamt eingegangenen Schreiben zeigte er die beabsichtigte Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit L. an; die Agentur für Arbeit stellte den Eintritt der Rechtswirksamkeit der Anzeige nach Stellungnahme des Betriebsrats vom 06.07.2005 (Abl. Bl. 19 d.A) fest (Abl. Bl. 18 d. A.).
Am 01.07.2005 stellte der Beklagte 19 von 34 Mitarbeitern frei. Das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger kündigte er mit Schreiben vom 21.07.2005 zum 31.10.2005. Auch andere Mitarbeiter erhielten an diesem Tag ihre Kündigung. Vor Ausspruch dieser Kündigungen hat der Beklagte mit dem Betriebsrat keine Verhandlungen über einen Interessenausgleich geführt. Der Betrieb ist dann am 30.09.2005 auch tatsächlich stillgelegt worden.
Am 18.08.2005 hat das Amtsgericht L. unter dem Aktenzeichen 52 b IN 113/05 Masseunzulänglichkeit festgestellt.
Der Kläger verlangt nach Rücknahme der zunächst erhobenen Kündigungsschutzklage Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG und ist der Auffassung, dass es sich um eine Masseverbindlichkeit handele.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass der Beklagte dem Kläger eine Abfindung im Sinne von § 113 BetrVG in Höhe von 6.250,00 EUR für den Verlust des Arbeitsplatzes als Masseverbindlichkeit im Sinne von § 209 Abs. 1 Nr. 3 Ins.O schuldet.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, bei einem Nachteilsausgleichanspruch handele es sich um eine einfache Insolvenzforderung, die zur Insolvenztabelle angemeldet werden müsse. Die Forderung sei zudem unbegründet. Das Unternehmen habe sich in einer ausweglosen Situation befunden. In einem solchen Fall könne die Durchführung des Interessenausgleichsverfahrens nicht verlangt werden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und dies wie folgt begründet:
Da der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt habe, sei die Feststellungsklage zulässig. Es handele sich bei dem Anspruch des Klägers auf Nachteilsausgleich um eine Masseverbindlichkeit, da die Betriebsänderung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahren beschlossen und durchgeführt worden sei. Der Beklagte habe die Betriebsänderung erst nach Insolvenzeröffnung, dem 01.07.2005, durchgeführt. An diesem Tage habe er den Betrieb teilweise stillgelegt, indem er 19 von 34 Mitarbeitern freigestellt und dem Kläger drei Wochen später gekündigt habe. Bestehe die geplante Betriebsänderung in der Stilllegung eines Betriebes, so beginne der Unternehmer mit ihrer Durchführung jedenfalls dann, wenn er zu diesem Zweck die bestehenden Arbeitsverhältnisse kündige. Nicht als Beginn seien reine Vorbereitungshandlungen zu werten.
Die Klage sei auch begründet. Die Voraussetzungen für einen Nachteilsausgleichsanspruch lägen vor. Der Insolvenzverwalter sei zu dem Versuch eines Interessenausgleichs verpflichtet. Diese Verpflichtung des Beklagten sei auch nicht wegen einer auswegslosen Situation entfallen.
Gegen dieses, ihm am 20.02.2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 17.03.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die der Beklagte am 19.04.2006 dur...