Leitsatz
Die Beeinträchtigung der Lese- und Rechtschreibefähigkeit eines Kindes stellt nach Auffassung des BFH nicht in jedem Fall eine Krankheit im Sinne des § 33 EStG dar. Beruht sie auf einer Hirnfunktionsstörung, ist eine Heilbehandlung medizinisch notwendig. Soll dagegen die sprachliche, soziale, psychologische oder pädagogische Entwicklung des Kindes gefördert und unterstützt werden, liegt keine Heilung oder Linderung einer Krankheit vor. Um in einem solchen Fall einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu verhindern, sei es unverzichtbar, mit einem vor Beginn der Behandlung erstellten amtsärztlichen Attestes deren medizinische Notwendigkeit nachzuweisen. Ausnahmsweise genügten andere amtliche Unterlagen wie die Bescheinigung einer Versicherungsanstalt oder einer Beihilfestelle. Das FG des Saarlandes entschied jetzt, dass auch eine nachträgliche Bescheinigung ausreicht, wenn von neutraler Stelle eine Erkrankung und der medizinische Behandlungsweg bescheinigt werden und die Behandlung von einem medizinisch-therapeutisch ausgerichteten Team vollzogen wird.
Sachverhalt
Die 10-jährige Tochter der Steuerpflichtigen leidet an einer Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie oder Dyslexie). Die Diagnose und Behandlung ließen sie vom Institut für Hirnforschung & angewandte Technologie GmbH durchführen. Sie nimmt außerdem an einem Legasthenie-Training bei einer Dipl.-Psychologin teil. Im Kalenderjahr 2000 wandten die Eltern hierfür 8.678 DM auf. Aus einer amtsärztlichen Bescheinigung, die erst am 11.9.2001 ausgestellt wurde, geht hervor, dass die Tochter an einer Lese- und Rechtschreibschwäche leide, die durch medizinische Behandlung oder pädagogische Maßnahmen gebessert werden könne. Bei der Tochter werde eine medizinische Behandlung praktiziert, die noch nicht von der Krankenkasse anerkannt sei. Das Finanzamt erkannte die Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastung an.
Entscheidung
Das FG hält es nicht für vertretbar, generell ein Attest zu verlangen, dass vor Behandlungsbeginn ausgestellt wurde. Denn auch derjenige, dem der Amtsarzt noch keine Bescheinigung erteilt hat, kann dennochkrank sein. Für eine vorzeitige Bescheinigung ergibt sich zudem die praktische Schwierigkeit, dass vor Beginn einer Behandlung eine sichere Diagnose häufig noch nicht möglich ist, weil spezialisierte Ärzte oder andere Einrichtungen noch nicht konsultiert wurden. Wenn von einem FG unter Hinzuziehung eines Sachverständigen festgestellt werden kann, dass von Anfang an eine Krankheit gegeben war, sollten auch die Aufwendungen, die vor der entsprechenden Bescheinigung angefallen sind, als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden können. Im Vordergrund steht nicht die Erlangung steuerlicher Vorteile, sondern das Bemühen, der Erkrankung mittels therapeutischer Maßnahmen zu begegnen, denn über die steuerliche Geltendmachung wird erst im Folgejahr, also nach Beginn der Therapie entschieden.
Im Urteilsfall war die amtsärztliche Bescheinigung nicht vor Beginn der Behandlung ausgestellt worden. Gleichwohl sind abzugsfähige Krankheitskosten gegeben, da die nachträgliche Bescheinigung das Vorliegen einer krankhaften Lese-Rechtschreibschwäche diagnostiziert, die möglichen Behandlungsschritte aufzeigt und schließlich feststellt, dass bei der Tochter eine medizinische Behandlung durchgeführt wird. Die fehlende Anerkennung der Behandlung durch die Krankenkasse bleibt ohne Auswirkung, wenn die medizinische Behandlung von einem medizinisch-therapeutisch ausgebildeten Team vollzogen wird.
Hinweis
Das FG ließ die Revision zu, weil der BFH Gelegenheit haben sollte, die Rechtsprechung über die Nachweisgrundsätze bei einer Legasthenie-Behandlung überprüfen zu können.
Link zur Entscheidung
FG des Saarlandes, Urteil vom 24.09.2003, 1 K 318/01