2.1 Überblick und Zielsetzung der Liberating Structures
Menschen, die sich bei der Arbeit in Entscheidungsprozesse oder Strategien einbezogen fühlen, sind zufriedener und leistungsfähiger. Gut zusammenarbeitende Teams und funktionierende Gruppenprozesse bringen bessere Ergebnisse. Innovationen oder gute Ideen entstehen nicht nur entlang des Hierarchiepfades, sondern können von jedem kommen – unabhängig von seiner Stellung im Unternehmen. Diese in zahlreichen arbeitspsychologischen und organisationssoziologischen Studien, beginnend beim berühmten Hawthorne-Experiment in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, etablierten Gedanken, haben die beiden US-amerikanischen Berater Keith McCandless und Henri Lipmanowicz motiviert, die Liberating Structures (befreiende Strukturen) zu entwickeln.
Was sind diese Liberating Structures überhaupt? Vordergründig ein Set von Methoden, die Ideenfindungs- und Entscheidungsprozesse in Gruppen und Teams unterstützen. Sie sind damit keine neue Managementtheorie, sondern liefern stattdessen Methoden für eine Vielzahl der aktuellen Managementtechniken, die den kulturellen Wandel in Unternehmen anstreben.
Die Liberating Structures umfassen rund 40 "kleine" Methoden, um Prozesse in Gruppen zu organisieren. Hinsichtlich des Einsatzzwecks lassen sich die Liberating Structures in die in Abb. 1 dargestellten Kategorien einteilen.
Abb. 1: Kategorien der Liberating Structures
Der vorstehend dargestellte Matchmaker hilft die passende Liberating Structure zu finden – genauso wie die App oder das Menü. Die gemeinsamen Merkmale alle Liberating Structures sind: Sie lassen sich schnell und einfach anwenden. Es braucht dazu keine großen organisatorischen oder gar technischen Vorbereitungen und Voraussetzungen. Die Methoden sind einfach – die Erfinder meinen gar so simpel, dass man kaum glauben könne, wie wirksam sie sind. Zwei Beispiele dieser Methoden,
- die Users Experience Fishbowl, das zur Kategorie Teilen gehört, und
- Appreciative Interviews, die zu den Kategorien Offenlegen und Teilen gehören,
werden in den nachfolgenden Unterkapiteln eingehender vorgestellt.
2.2 Knowhow Teilen oder verbreiten mit User Experience Fishbowl
Die Methode der User Experience Fishbowl – zu Deutsch am treffendsten mit Anwendererfahrung Goldfischglas übersetzt – ist primär dazu angelegt, das Know-How einer kleinen Gruppe, die Erfahrungen mit einem Thema gemacht haben, mit einer anderen, größeren Gruppe im Unternehmen oder der gesamten Organisation zu teilen. Dabei sind die User, die über Erfahrung verfügen, die "Goldfische", die im Glas schwimmen. Die Personen, die an den Erfahrungen teilhaben sollen, betrachten die schwimmenden "Goldfische" im Glas.
Aufbau einer Users Experience Fishbowl-Session
Die für die Vorbereitung der Session nötigen Mittel finden sich überall. Denn zwingend notwendig für die Vorbereitung einer Fishbowl-Session sind nur Stühle. Sie werden in zwei Kreisen angeordnet. Die User im Goldfischglas, die ihre Erfahrungen weitergeben, werden dabei im inneren Kreis platziert. Der äußere Kreis (bei zahlreichen Teilnehmenden können es mehrere äußere Kreise sein), wird mit den Teilnehmenden besetzt, die über die Nutzererfahrungen unterrichtet werden sollen.
Nötig sind also genügend Stühle und genügend Raum für den Aufbau der Kreise. Bei großen Teilnehmerzahlen sind möglicherweise Mikrofone sinnvoll, um Gesprächsbeiträge zu übertragen.
Im inneren Kreis sollten sich 3 -7 Personen, im äußeren Kreis jeweils 3 -4 Personen in jeder Satellitengruppe.
Teilnehmende im inneren Kreis
Für eine gelingende Users Experience Fishbowl ist es wichtig, für den inneren Kreis ausschließlich Teilnehmende auszuwählen, die persönliche Erfahrung mit dem Thema haben. Teilnehmende werden nicht durch Rang oder Aufgabenbereich ausgewählt, sondern ausschließlich nach dem Grad ihrer unmittelbaren Erfahrung. Wenn es beispielsweise darum geht, im Hotel- und Gastgewerbe über die Erfahrungen im Umgang mit Gästen und ihrem Verhalten zu berichten, werden ausschließlich die im direkten Gästekontakt stehenden Personen für den inneren Kreis ausgewählt, nicht jedoch z. B. Vorgesetzte, die nur noch selten über Kontakte zu Gästen verfügen.
Teilnehmende im äußeren Kreis
Für die Teilnehmenden im äußeren Kreis gelten keinen spezifischen Auswahlkriterien. Alle, für die Teilhabe an den Erfahrungen sinnvoll ist, können eingeladen werden. Einziges Kriterium ist, dass die Teilnehmenden, die Inhalte der Nutzererfahrung kennenlernen, verstehen und eventuell mit neuen Ideen von außen anreichern wollen.
Fishbowl-Sessions: Mehr als nur ins Goldfischglas gucken
Natürlich ist die Teilnahme an der Fishbowl-Session für die Mitglieder des äußeren Kreises mehr als nur "ins Goldfischglas gucken". Sie sind vielmehr "teilnehmende Beobachter". Sie sollen die Gespräche im inneren Kreis genau beobachten. Dabei empfiehlt es sich auch auf nonverbale Äußerungen wie Gesten, Mimik usw. zu achten. Fragen stellen ist ausdrücklich gewünscht. Je nac...