Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Der Leistungstatbestand Lieferung stellt neben dem Leistungstatbestand der sonstigen Leistung den Kernbegriff für Leistungen eines Unternehmers im Umsatzsteuerrecht dar. Damit eine steuerbare Lieferung eines Unternehmers nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG vorliegen kann – und damit eine Umsatzsteuer für die Leistung entstehen kann – muss überprüft werden, ob eine Lieferung vorliegt und wo der Ort dieser Lieferung ist.
Neben der Grunddefinition der Lieferung sind im Umsatzsteuergesetz auch Sonderfälle als Lieferung definiert, ohne die eine umsatzsteuerrechtliche Erfassung bestimmter Vorgänge nicht möglich wäre.
Lieferungen im Umsatzsteuerrecht |
Rechtsvorschrift |
Regelungsgehalt |
§ 3 Abs. 1 UStG |
Grunddefinition der Lieferung: Eine Lieferung liegt dann vor, wenn der Unternehmer einem anderen Verfügungsmacht an einem Gegenstand verschafft. Dazu muss ein "Gegenstand" vorliegen (Sachen oder Tiere) und der Leistungsempfänger muss über diesen Gegenstand wie über einen eigenen verfügen können ("Wert, Substanz und Ertrag" gehen auf den Leistungsempfänger über). |
§ 3 Abs. 1a UStG |
Sondertatbestand des innergemeinschaftlichen Verbringens: Wenn ein Unternehmer einen Gegenstand zur eigenen Verfügung in einen anderen Mitgliedstaat verbringt, liegt im Ausgangsmitgliedstaat eine Lieferung vor. Ausgenommen davon ist eine nur vorübergehende Verwendung in dem anderen Mitgliedstaat. Korrespondierend muss dazu ein innergemeinschaftlicher Erwerb im Bestimmungsland der Besteuerung unterworfen werden. |
§ 3 Abs. 1b UStG |
Unentgeltliche Wertabgaben aus dem Unternehmen (Entnahme von Gegenständen, unentgeltliche Lieferungen an das Personal sowie andere unentgeltliche Zuwendungen) führen ebenfalls zu einer Lieferung. Nicht nur Wertabgaben aus unternehmensfremden Zwecken, sondern auch unentgeltliche Wertabgaben aus rein unternehmerischen Gründen können zu einer Lieferung nach § 3 Abs. 1b UStG führen. |
§ 3 Abs. 3 UStG |
Lieferung beim Kommissionsgeschäft: Bei einem Kommissionsgeschäft würde zivilrechtlich zwischen Kommittenten und Kommissionär keine Lieferung, sondern eine Besorgungsleistung vorliegen. Um diesen Vorgang im Umsatzsteuerrecht erfassen zu können, wird umsatzsteuerrechtlich eine Lieferung zwischen dem Kommittenten und dem Kommissionär fingiert. Ein Kommissionsgeschäft liegt vor, wenn ein in eine Lieferung eingeschalteter Unternehmer (Kommissionär) in eigenem Namen, aber für fremde Rechnung auftritt. |
§ 3 Abs. 3a UStG |
Zum 1.7.2021 ist eine fiktive Reihengeschäftsregelung durch das sog. Digitalpaket eingeführt worden, nach der in bestimmten Fällen der Einschaltung einer elektronischen Schnittstelle (z. B. eines Internetportals) eine Lieferung von dem Unternehmer an die elektronische Schnittstelle und gleichzeitig eine Lieferung der elektronischen Schnittstelle an den Erwerber fingiert wird. |
§ 3 Abs. 4 UStG |
Abgrenzung der Werklieferung von der Werkleistung. Wenn ein Unternehmer im Zusammenhang mit der Be- oder Verarbeitung eines fremden Gegenstands eine einheitliche Leistung ausführt, die sowohl Elemente einer Lieferung als auch einer sonstigen Leistung enthält, erfolgt die Abgrenzung, ob diese Leistung als (Werk-)Lieferung oder als (Werk-)Leistung anzusehen ist, darüber, ob der leistende Unternehmer nur Nebensachen oder Zutaten stellt. Verwendet der Unternehmer nicht nur Zutaten oder Nebensachen, liegt eine Werklieferung mit der Folge vor, dass sich der Ort der Leistung sowie ggf. Steuerbefreiungen nach den Rechtsvorschriften für Lieferungen bestimmen. |
§ 3 Abs. 5 UStG |
Hat der Unternehmer dem Lieferer Nebenerzeugnisse oder Abfälle, die bei der Bearbeitung oder der Verarbeitung der übergebenden Gegenstände entstehen, zurückzugeben, liegt eine sog. Gehaltslieferung vor. Es liegt nur eine Lieferung vor, die in dem "Gehalt" des dem Leistungsempfänger überlassenen Stoffs besteht. Die Rückgabe der Nebenerzeugnisse oder der Abfälle begründet somit keinen Tausch. |
Hat der Unternehmer festgestellt, dass eine Lieferung nach den genannten Vorschriften vorliegt, muss geprüft werden, ob der Ort dieser Lieferung im Inland liegt. Nur wenn der Ort der Lieferung nach den umsatzsteuerrechtlichen Festlegungen im Inland ist, kann es sich um einen steuerbaren Umsatz handeln.
Definition der Lieferung als Voraussetzung für zutreffende Ortsbestimmung
Bevor nicht festgestellt worden ist, ob und welche Art Lieferung ausgeführt wurde, kann auch nicht rechtssicher geprüft werden, wo sich der Ort der Lieferung befindet.
1.1 Gegenstände als Voraussetzung für Lieferungen
Der Begriff der Lieferung wird über die gesetzliche Legaldefinition "Verschaffung der Verfügungsmacht" im § 3 Abs. 1 UStG beschrieben. Damit müssen Wert, Substanz und Ertrag an einem Gegenstand auf den Abnehmer übergehen. Im Regelfall erfolgt eine Orientierung an dem wirtschaftlichen Eigentum.