Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Der Begriff der Lieferung wird über die gesetzliche Legaldefinition "Verschaffung der Verfügungsmacht" im § 3 Abs. 1 UStG beschrieben. Damit müssen Wert, Substanz und Ertrag an einem Gegenstand auf den Abnehmer übergehen. Im Regelfall erfolgt eine Orientierung an dem wirtschaftlichen Eigentum.
Rechte werden nicht geliefert
Rechte (z. B. Gesellschaftsrechte, Forderungen, Patente usw.) werden nicht geliefert, sondern im Rahmen einer sonstigen Leistung übertragen.
Entscheidend für den Begriff der Lieferung ist die Übereignung einer Sache, also des Liefergegenstands. An diesem verschafft der Unternehmer dem Abnehmer die Verfügungsmacht.
Umsatzsteuerlicher Begriff des Gegenstands
Der Begriff des Gegenstands im Umsatzsteuerrecht ist nicht identisch mit dem des BGB und wird anders verwendet als im allgemeinen Sprachgebrauch.
1.1.1 Körperliche Gegenstände
Zu den in § 3 Abs. 1 UStG genannten Liefergegenständen gehören zunächst die körperlichen Gegenstände, also Sachen und Tiere. Gegenstand einer Lieferung können bewegliche und unbewegliche (z. B. Grundstücke) und flüssige oder gasförmige Gegenstände sein.
1.1.2 Sachgesamtheiten
Auch die Zusammenfassung von mehreren rechtlich selbstständigen Gegenständen, die wirtschaftlich als ein anderes Verkehrsgut angesehen werden als die Summe dieser Gegenstände, wie z. B. Blumenstrauß, Pralinenpackung usw., können Gegenstand einer Lieferung sein.
1.1.3 Nichtkörperliche Gegenstände
Zu den Gegenständen i. S. d. Umsatzsteuerrechts gehören auch nichtkörperliche Gegenstände, die im allgemeinen Wirtschaftsverkehr wie Sachen behandelt werden. Dazu zählen insbesondere die verschiedenen Arten von Energie, wie z. B. elektrischer Strom, Gas, Wasserkraft, Wärme.
Kundenstamm ist kein Gegenstand
Die Übertragung eines Geschäfts- oder Praxiswerts oder eines Kundenstamms ist keine Lieferung, sondern wird als sonstige Leistung angesehen.
1.1.4 Gehaltslieferung
Führt ein Unternehmer gegenüber einem Abnehmer eine Lieferung aus und hat der Abnehmer dem liefernden Unternehmer Neben- oder Abfallprodukte, die bei der Bearbeitung oder Verarbeitung der Gegenstände anfallen, zurückzugeben, liegt kein Tausch vor, sondern es handelt sich nur um eine Lieferung, die von dem Gehalt dessen bestimmt wird, was dem Leistungsempfänger verbleibt. Der Leistungsaustausch beschränkt sich dabei auf den Gehalt der Bestandteile, die beim Abnehmer verbleiben. Die zurückgegebenen Nebenerzeugnisse oder Abfälle nehmen am Leistungsaustausch nicht teil. Es liegt lediglich eine nichtsteuerbare Rückgabe vor.
Bei einer Gehaltslieferung müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:
- Das Liefergeschäft muss sich auf einen ganz bestimmten Bestandteil (= lieferfähiger Gehalt) eines Gegenstands beziehen.
- Der Vorgang der Lieferung muss als Gehaltslieferung im Wirtschaftsleben üblich sein.
- Die Rückgabe der Nebenerzeugnisse oder Abfälle muss von vornherein vereinbart worden sein. Es muss sich dabei allerdings nicht um die unmittelbar anfallenden Nebenerzeugnisse handeln, sondern es genügt, wenn der Abnehmer Gegenstände gleicher Art zurückgibt, wie sie üblicherweise in seinem Unternehmen anfallen.
- Die hingegebenen und dann wieder zurückgegebenen Gegenstände dürfen nicht artgleich sein.
Gehaltslieferung
Landwirt A liefert an die Zuckerraffinerie Zuckerrüben und erhält eine entsprechende Menge an Zuckerrübenabfall für die von ihm betriebene Biogasanlage sofort bei Anlieferung seiner Zuckerrüben zurück.
Der Leistungsaustausch beschränkt sich auf den "Gehalt" des Zuckers. Die Rückgabe der Zuckerrübenabfälle ist nicht als eigenständige Lieferung anzusehen. Bemessungsgrundlage für die Leistung des Landwirts (Lieferung des Zuckergehalts) ist alles das, was er von der Raffinerie (ohne Abfälle) erhält – dies entspricht der Zahlung der Raffinerie abzüglich der darin enthaltenen Umsatzsteuer.