Leitsatz
Dem Vorsteuerabzug aus einer Lieferung i.S.v. § 15 Abs. 1, § 3 Abs. 1 UStG steht nicht entgegen, dass der Lieferer zivilrechtlich nicht Eigentümer des Liefergegenstands ist und darüber hinaus beabsichtigt, den gelieferten Gegenstand vertragswidrig nochmals an einen anderen Erwerber zu liefern.
Normenkette
§ 3 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1999
Sachverhalt
Die Klägerin kaufte Maschinensysteme (Maschinen) von der K-KG und verleaste diese an die F-KG. Dabei trat die Klägerin in die zwischen der K-KG und der F-KG bestehenden Kaufverträge ein und verleaste die Maschinen aufgrund eigener Leasingverträge an die F-KG. Das Sale-and-lease-back-Geschäftsmodell war von den Gesellschaftern der KGs als Teil eines Betrugsmodells entwickelt worden. Es gab keinerlei Anhaltspunkt für die Annahme, die Klägerin sei nicht gutgläubig gewesen. Das FA versagte den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen. Die Verfügungsmacht an nicht vorhandenen Gegenständen könne nicht gutgläubig erlangt werden. Die Klage hatte Erfolg (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.9.2010, 9 K 321/07, Haufe-Index 2613222, EFG 2011, 1108).
Entscheidung
Der BFH bestätigte das FG. Die wesentlichen Grundlagen für die Entscheidung ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH (Urteil in BGHZ 161, 90), der eine wirksame Sicherungsübereignung der betreffenden Leasinggegenstände an die finanzierenden Banken bejaht hatte, konnte die Klägerin im Besprechungsfall sogar zivilrechtlich nach § 929 Satz 2 BGB Eigentum vom Berechtigten erworben haben, wenn zwischen der F-KG und der K-KG ein Besitzmittlungsverhältnis zugunsten der K-KG bestand.
Hinweis
1."Verschaffung der Verfügungsmacht" an einem Gegenstand ist jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer, ohne dass es dabei auf eine Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen ankommt. Unabhängig davon, ob ein Eigentumserwerb vorliegt, kann nur das nationale Zivilrecht die Frage beantworten, ob demjenigen, der – wie im Besprechungsfall – den Vorsteuerabzug für eine Lieferung beansprucht, gegen Entgelt eine Position eingeräumt worden ist, die es ihm ermöglicht, vergleichbar einem Eigentümer Substanz und Ertrag des ihm gegen Entgelt übertragenen Gegenstands zu verwerten. So kann zwar nach nationalem Recht an gestohlenen Sachen kein Eigentum erworben werden. Gleichwohl können Dieb oder Hehler oder der Täter einer Unterschlagung einem Dritten die "Verfügungsmacht" i.S.d. UStG verschaffen.
2. Besonderheit im Besprechungsfall war, dass ein ursprünglich durchgeführtes Sale-and-lease-back-Modell zu einem Betrugsmodell wurde, nachdem dieselben Gegenstände – beim Leasingnehmer mit neuen Ident-Nummern versehen und frisiert – mehrfach an verschiedene gutgläubige Unternehmer verkauft worden sind. Die mehrfache Unterschlagung der Leasinggegenstände stand einer jeweils neuen Lieferung der unterschlagenen Gegenstände nicht entgegen. Konnte der Erwerber die Absicht des Veräußerers zu einer späteren Unterschlagung nicht erkennen, steht der geheime Vorbehalt der Annahme einer Lieferung nicht entgegen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 8.9.2011 – V R 43/10