Leitsatz
* 1. Verfahrensmängel i.S.v. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind nur Verstöße des FG gegen den in Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts geregelten Ablauf des Verfahrens.
2. Bei der Frage, ob das FG durch Unterlassen einer (weiteren) Beweiserhebung einen Verfahrensfehler begangen hat, ist von der sachlich-rechtlichen Sicht der Vorinstanz auszugehen.
3. Ein Verfahrensmangel liegt vor, wenn das FG seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO).
4. Der Umfang des Entscheidungsprogramms des FG wird wesentlich durch die schriftlichen und mündlichen Bekundungen der Beteiligten mitbestimmt. Wird entsprechender Vortrag unterlassen, liegt eine Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO durch das FG nicht vor, wenn es bei seiner Entscheidung Umstände außer Betracht lässt, die sich ihm nach Lage der Akten nicht aufdrängen mussten.
* Leitsätze nicht amtlich
Normenkette
§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO , § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO
Sachverhalt
Vor dem FA und dem FG stritten die Beteiligten in einem LSt-Haftungsverfahren (nur) darüber, ob der Kläger seinem früheren Arbeitnehmer (dem Zeugen T) neben einem Barlohn von 2 000 DM pro Monat zusätzlich noch monatliche Schwarzlöhne von 1 500 DM bezahlt hatte. Obwohl sich das FA schon in der Einspruchsentscheidung dazu geäußert hatte, dass T nicht in Anspruch zu nehmen sei (Frage des Auswahlermessens – § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG), brachte der Kläger vor dem FG hierzu nichts vor. Das FG wies die Klage ab.
In seiner Beschwerdeschrift rügte der Kläger, das FG habe einen Verfahrensfehler begangen. Das FG sei – ebenso wie das FA – davon ausgegangen, dass teilweise Schwarzlohnzahlungen geflossen seien. Dann aber hätte das FG – im Hinblick auf die Kenntnis des T (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG) – der Frage nachgehen müssen, ob das FA sein Auswahlermessen richtig ausgeübt habe.
Entscheidung
Der BFH wies die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurück. Es sei zwar richtig, dass die Art und Weise einer Lohnzahlung Rückschlüsse darauf zulassen könne, ob ein Arbeitnehmer positiv wisse, dass der Arbeitgeber die einbehaltene LSt nicht vorschriftsmäßig angemeldet habe. Es wäre indes vorrangig Sache des – im Übrigen fachkundig – vertretenen Klägers gewesen, zur Frage des Auswahlermessens (§ 42d Abs. 3 Sätze 3 und 4 EStG) schon von sich aus das Entsprechende vorzutragen und dem FG durch geeigneten Tatsachenvortrag Anlass zu weiteren Ermittlungen zu geben.
Hinweis
Ein typischer Fall, dass Nachlässigkeiten vor dem FG häufig – wie auch hier – nicht mehr "repariert" werden können. Herauszustellen ist auch, dass das Recht der Nichtzulassungsbeschwerde von den Beteiligten häufig nur unzureichend beherrscht wird.
1. Ungeachtet der Frage, dass Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) vor dem BFH "darzulegen" sind (vgl. hierzu Gräber/Ruban, FGO, 5. Aufl., § 116 Tz. 48), liegen Verfahrensmängel nur bei Zuwiderhandlungen des FG gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts vor. Schutzziel des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist insbesondere die Gewährleistung einer Entscheidungsfindung in einem vorschriftsmäßigen Verfahren.
Übersehen wird häufig, dass Fehler, die dem FA im Besteuerungsverfahren oder im außergerichtlichen Verfahren unterlaufen sind (Mängel des Verwaltungsverfahrens), grundsätzlich keine Verfahrensmängel i.S.d. Revisionsrechts darstellen. Ebenso sind Fehler, die dem FG bei der Auslegung von Vorschriften der AO und anderer, das Besteuerungsverfahren regelnder Vorschriften unterlaufen, keine Verfahrens-, sondern materiell-rechtliche Mängel. Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann insoweit von vornherein nur Erfolg haben, wenn der Weg über die Alternativen § 115 Abs. 2 Nr. 1 (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) bzw. Nr. 2FGO (Fortbildung des Rechts usw.) gewählt wird.
Nochmals: Bei Verfahrensmängeln geht es ausschließlich um das (falsche) Procedere des FG. Maßgebend ist, dass das FG bei der Handhabung des Verfahrens – einschließlich der Urteilsfindung – gegen Prozessrecht (also insbesondere die FGO) verstößt. Deshalb gehören auch Rügen, das FG habe etwa Beweise falsch gewürdigt, grundsätzlich nicht hierher; derartige Rügen stellen regelmäßig materiell-rechtliche Fehler dar.
2. Zu den Mängeln des gerichtlichen Verfahrens zählen insbesondere Mängel der Sachaufklärung, Übergehen eines entscheidungserheblichen Beweisantrags, mangelhafte Gewährung des rechtlichen Gehörs, Unterlassung einer notwendigen Beiladung, fehlerhafte Entscheidung über Aussetzung des Verfahrens.
3. Im Streitfall ging es um eine (an sich statthafte) Verfahrensrüge. Es wurde mit der Nichtzulassungsbeschwerde vorgetragen, das FG habe bei seiner Entscheidung Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht berücksichtigt, also nicht alle rechtserheblichen Umstände des Streitfalls in sein Urteil einbezogen.
Die Beteiligten (Kläger und FA) müssen beachten, dass sie eine Mitverantwortung sowohl für das Ermittlungs- als auch das Entscheidungsprogramm des FG haben. Es versteht sich von s...