Leitsatz
Vereinnahmt der Insolvenzverwalter eines Unternehmens das Entgelt für eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführte Leistung, begründet die Entgeltvereinnahmung nicht nur bei der Ist-, sondern auch bei der Sollbesteuerung eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Fortführung des BFH-Urteils vom 29.01.2009, V R 64/07, BFH/NV 2009, 1045, BFH/PR 2009, 265, zur Istbesteuerung).
Normenkette
§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 17 UStG 1999, § 38, § 55 InsO
Sachverhalt
Der vorläufige Insolvenzverwalter (Kläger) einer GmbH (Regelversteuerung) vermietete 2004 für nur zwei Monate deren Fuhrpark an eine KG, für die er ebenfalls zum Insolvenzverwalter bestellt worden war. Den Vertrag musste ein durch das Insolvenzgericht einzusetzender Sonderverwalter genehmigen. Dem Kläger, seit März Insolvenzverwalter, gestattete das FA den Wechsel zur Ist-Versteuerung. Nach Genehmigung durch den Sonderverwalter im Mai 2005 vereinnahmte der Kläger die Miete für den Fuhrpark. Der Kläger war der Auffassung, die USt sei eine Insolvenzforderung.
Das FG bestätigte ihn, weil § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG bereits vor Verfahrenseröffnung vollständig erfüllt gewesen sei (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29.04.2010, 1 K 533/09, Haufe-Index 2377054, EFG 2010, 1845). Durch den Wechsel der Besteuerungsart werde der bereits vollständig verwirklichte und abgeschlossene USt-Tatbestand rückwirkend wieder "unbegründet".
Entscheidung
Der BFH bestätigte im Ergebnis das FA. Liegen die Voraussetzungen der Berichtigung vor, sind grundsätzlich Steuer und Vorsteuer zu berichtigen. Ob diese auch dann im selben Besteuerungszeitraum vorzunehmen ist, wenn die steuerverfahrensrechtlichen Besonderheiten des Insolvenzverfahrens eine Zäsur im Laufe eines Besteuerungszeitraums erfordern, im Übrigen aber keine Anhaltspunkte für die Uneinbringlichkeit aufgrund von Umständen in der Person des Entgeltschuldners bestehen, ist zweifelhaft, aber noch offen.
Hinweis
1. Insolvenzforderungen (§ 38 InsO: die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner "begründeten" Vermögensansprüche) und Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO: Verbindlichkeiten, die "durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören") gehen verfahrensrechtlich verschiedene Wege. Nur Masseverbindlichkeiten darf das FA gegen den Insolvenzverwalter durch Steuerbescheid festsetzen; sonst ist die Forderung zur Tabelle anzumelden und bei Widerspruch dagegen ein Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO zu erlassen. Das FA erhält, wenn dieser bestandskräftig ist, die Insolvenzquote.
2. Entscheidend ist der Zeitpunkt, zu dem der den USt-Anspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Unerheblich ist demgegenüber der Zeitpunkt der Steuerentstehung.
3. Wird eine Forderung uneinbringlich ist die Bemessungsgrundlage für den Umsatz herabzusetzen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG 7 UStG). Uneinbringlichkeit liegt – unbeschadet einer späteren Quotenzuteilung – bei Insolvenzeröffnung stets vor. Hat der Unternehmer, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird, eine Leistung vor Verfahrenseröffnung bezogen und das hierfür geschuldete Entgelt bis zu diesem Zeitpunkt nicht entrichtet, ist daher zu berichtigen und erneut zu berichtigen bei einer nachträglichen Zahlung.
Die Rechtsprechung berücksichtigt dabei, dass die Insolvenzeröffnung eine Zäsur bewirke, auch wenn nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Grundsatz der Unternehmereinheit gilt; das Unternehmen besteht jedoch nach Verfahrenseröffnung aus mehreren Unternehmensteilen, zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Es kommt zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile: z.B. die Insolvenzmasse und das vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen. Zur Wahrung des Grundsatzes der Unternehmenseinheit reicht es aus, dass die Summe der für alle Unternehmensteile insgesamt festgesetzten oder angemeldeten USt der USt für das gesamte Unternehmen entspricht.
4. Diese Zäsur ist umsatzsteuerrechtlich auch hinsichtlich der Vereinnahmung von Entgelten zu berücksichtigen: Die den vorinsolvenzrechtlichen "Unternehmensteil" betreffenden USt-Ansprüche können nur zur Tabelle angemeldet werden. Deshalb kann z.B. ein Vorsteueranspruch des massezugehörigen Unternehmensteils nicht gem. § 16 Abs. 2 S. 1 UStG mit einem Steueranspruch gegen den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil verrechnet werden (vgl. §§ 95, 96 InsO). Weil auch der Entgeltanspruch ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr durch den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil vereinnahmt werden kann, werden die bei Verfahrenseröffnung noch nicht vereinnahmten Entgelte aus vor Verfahrenseröffnung erbrachten Leistungen im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil au...