Leitsatz
1. Der Senat hält daran fest, dass sich der Begriff des verarbeitenden Gewerbes auch vor Inkrafttreten des § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 2010 nach der für das jeweilige Kalenderjahr geltenden Klassifikation der Wirtschaftszweige richtet.
2. Die FG haben die für die Zuordnung eines Betriebs zu einem Wirtschaftszweig erheblichen Tatsachen selbst festzustellen und zu würdigen; eine fehlerhafte Einordnung durch die Statistikämter dürfen sie nicht übernehmen.
Normenkette
§ 2 Abs. 2 InvZulG 1999
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt einen Kalksandsteinbruch und veräußert überwiegend Baustoffe für die Untergrundherstellung im Straßenbau. Im Steinbruch wird zunächst durch eine Fremdfirma der Stein vom Berg abgesprengt. Danach werden in einer Vielzahl von Sortier-, Sieb- sowie Mahl- und Bruchschritten genau definierte Steinprodukte hergestellt. Einem Teil der Endprodukte werden Zuschlagstoffe zugegeben. Das Landesamt für Statistik erfasste die Klägerin als Betrieb des Bergbaus und der Gewinnung von Steinen und Erden (Gewinnung von Naturwerksteinen und Natursteinen, …) der Klassifikation der Wirtschaftszweige 2003.
Für im Kalenderjahr 2004 getätigte Investitionen beantragte die Klägerin ohne Erfolg eine Zulage von 25 % der Bemessungsgrundlage.
Das Thüringer FG (Thüringer FG, Urteil vom 2.4.2008, IV 618/06, Haufe-Index 2148309) wies die Klage in Anlehnung an die frühere BFH-Rechtsprechung ab, weil die statistische Einordnung nicht zu einem offensichtlich falschen Ergebnis führe.
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies zurück. Da es sich bei der Klägerin um einen Mischbetrieb handelt, weil die Verarbeitung zu Steinen in DIN-Größe oder nach Kundenvorstellungen sowie die Herstellung von Gemischen zum verarbeitenden Gewerbe gehört, sind im zweiten Rechtsgang voraussichtlich die für die Zuordnung von Mischbetrieben grundsätzlich maßgeblichen Wertschöpfungsanteile zu ermitteln.
Hinweis
1. Das Verfahren hatte geruht und war wieder aufgenommen worden, nachdem das BVerfG der Verfassungsbeschwerde gegen das BFH-Urteil vom 25.1.2007 (III R 69/06, BFH/NV 2007, 1187) stattgegeben hatte: Die grundsätzliche Verbindlichkeit der Zuordnungsentscheidung der Statistikämter für die Zugehörigkeit von Betrieben zum begünstigten verarbeitenden Gewerbe und die Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle auf offensichtliche Fehler der Statistikämter sei mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nicht vereinbar. Denn statistische Einordnungen, die nicht offensichtlich, sondern lediglich "einfach" falsch seien, unterlägen keiner gerichtlichen Kontrolle (BVerfG, Beschluss vom 31.5.2011, 1 BvR 857/07, Haufe-Index 2712646, BFH/PR 2011, 360).
2. Diese Rechtsschutzlücke ist nun geschlossen. Das FG kann zwar auf das Expertenwissen der Statistikämter zurückgreifen, darf aber eine fehlerhafte statistische Einordnung nicht übernehmen, sondern muss selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen feststellen und subsumieren.
3. Der BFH hält – mit Billigung des BVerfG – daran fest, dass sich die Zuordnung der Betriebe zu einem Wirtschaftszweig auch für Altfälle weiterhin nach der für das jeweilige Kalenderjahr geltenden statistischen Klassifikation richtet. Für neue Sachverhalte wird dies durch § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 2010 ausdrücklich angeordnet.
4. Die Zuordnung bestimmter Tätigkeiten zu einem Wirtschaftszweig kann sich im Laufe der Zeit ändern, da die statistischen Klassifikationen regelmäßig überarbeitet werden. Auch das hat das BVerfG gebilligt. § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 2010 enthält insoweit eine dynamische Verweisung.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.9.2011 – III R 64/08