Dipl.-Finanzwirt Karl-Heinz Günther
Leitsatz
Die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO kann mehrfach aufeinander folgend zur Anwendung kommen, wenn die aufeinander folgenden Änderungen auf unterschiedlichen "Irrtümern" beruhen.
Sachverhalt
Im Streitfall ging es um die Frage, ob und in welcher Höhe der Kläger infolge einer verdeckten Gewinnausschüttung aus einer Kapitalgesellschaft eine freigebige Zuwendung im schenkungsteuerrechtlichen Sinn erhalten hat. Der Kläger war Alleineigentümer mehrerer Grundstücke. Mit Vertrag vom 17. Juni 1991 verpachtete er ein Grundstück an eine GmbH, deren Alleingesellschafter sein Sohn war. Im Zuge der Expansion des Geschäftsbetriebs der GmbH pachtete diese mit Vertrag vom 30. November 1996 mit Wirkung ab dem 1. Dezember 1996 vom Kläger auch zwei weitere Grundstücke an. Der nunmehr alle drei Grundstücke betreffende und neu gefasste Pachtvertrag wurde befristet mit einer Laufzeit bis zum 31. Dezember 2006 zuzüglich einer dem Kläger eingeräumten Verlängerungsoption über zweimal fünf Jahre abgeschlossen. Insgesamt wurde nunmehr für die Gesamtfläche von 17.000 m² ein deutlich höherer Pachtzins von monatlich 44.500 DM, d.h. von jährlich 534.000 DM, vereinbart. Im Schenkungsteuerverfahren ging das Finanzamt von einer verdeckten Gewinnausschüttung aus und setzte gegenüber dem Kläger Schenkungsteuer in mehreren Steuerbescheiden fest. Diese Steuerfestsetzungen hob das Finanzamt im nachfolgenden Klageverfahren auf und ging nunmehr von einer einzigen freigebigen Zuwendung des Gesellschafters der GmbH an den Kläger im Zeitpunkt des Abschlusses des Pachtvertrags im Jahr 1996 aus. Auch dieser Schenkungsteuerbescheid wurde nachfolgend aufgrund der Rechtsprechung des BFH aufgehoben, wonach im Fall einer verdeckten Gewinnausschüttung durch Vorteilsgewährung an eine dem Gesellschafter nahe stehende Person die darin liegende freigebige Zuwendung an letztere wegen der Eigenart der Schenkungsteuer als Verkehrsteuer von der Kapitalgesellschaft und nicht von deren Gesellschafter bewirkt würde. Das Finanzamt ging nunmehr von einer freigebigen Zuwendung der GmbH an den Kläger aus und setzte gegenüber dem Kläger Schenkungsteuer unter Hinweis auf den "Erwerb des Klägers aus der Zuwendung der GmbH zum 1. Dezember 1996" und unter Bezugnahme auf die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO fest. Dieser machte im Einspruchsverfahren geltend, der Schenkungsteuerbescheid habe schon in formeller Hinsicht nicht erlassen werden dürfen, weil insbesondere aus mehrfachen Gründen die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO nicht vorgelegen hätten.
Entscheidung
Das FG gab jedoch dem Finanzamt recht und entschied, dass unter "Sachverhalt" im Sinne des § 174 Abs. 4 AO ein aus mehreren Tatsachen bestehender Lebensvorgang zu verstehen ist. Entscheidend ist, dass aus demselben unveränderten und nicht durch weitere Tatsachen ergänzten Vorgang andere steuerrechtliche Folgerungen als bisher zu ziehen sind.
§ 174 Abs. 4 AO enthält auch keine Einschränkung dahingehend, dass die Korrekturvorschrift nicht mehrfach auf einander folgend zur Anwendung gelangen dürfte. Die mehrfach auf einander folgende Anwendung der Korrekturvorschrift des § 174 Abs. 4 AO begegnet jedenfalls dann keinen rechtlichen Bedenken, wenn sie auf unterschiedlichen "Irrtümern" beruht hat. Im Streitfall hatte das Finanzamt im ersten Änderungsbescheid seine irrige Beurteilung des Zeitpunkts des schenkungsteuerbaren Tatbestands richtig gestellt, wogegen der zweite Änderungsbescheid die bislang irrige Beurteilung der Person des Schenkers korrigieren sollte.
Hinweis
Die Entscheidung macht deutlich, dass - sofern dies nach den Regularien der Festsetzungsfrist noch möglich ist - dass Finanzamt durchaus "mehrere Anläufe" starten kann, um die zutreffenden steuerrechtlichen Folgerungen aus der vorherigen Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides aufgrund fehlerhafter rechtlicher Beurteilung im Rahmen einer (erneuten) Bescheidänderung nach § 174 Abs. 4 AO zu ziehen.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil vom 30.05.2012, 4 K 689/09