Leitsatz
1. Nach der im Zwölfmonatszeitraum 2006/2007 geltenden Milchabgabenverordnung nehmen nachträglich bekannt gewordene, die verfügbare Direktverkaufs-Referenzmenge überschreitende Milchmengen im Fall unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Milcherzeugers am sog. Saldierungsverfahren nicht teil. Dieser Ausschluss vom Saldierungsverfahren ist mit Unionsrecht vereinbar.
2. Auch wenn ein Mitgliedstaat in einem bestimmten Zwölfmonatszeitraum keine Milchabgabe an die Union abzuführen hat, kann er gleichwohl von einem Erzeuger, der mit seinen Lieferungen oder Direktverkäufen die verfügbare Referenzmenge überschritten hat, Milchabgabe in entsprechender Höhe festsetzen.
Normenkette
Art. 4, Art. 10 Abs. 3, Art. 11 Abs. 3, Art. 12 Abs. 4, Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1788/2003, Art. 8 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1 VO (EG) Nr. 595/2004, §§ 14, 24 MilchAbgV
Sachverhalt
Eine landwirtschaftliche Produktionsgesellschaft hatte im Zwölfmonatszeitraum 2006/2007 mit dem Verkauf von Milch und Milcherzeugnissen ihre Direktverkaufs-Referenzmenge um 928.505 kg überschritten, was jedoch erst nachträglich bei einer Marktordnungsprüfung festgestellt wurde. Das HZA beteiligte die Gesellschaft deshalb hinsichtlich der Überlieferungsmenge nicht am Saldierungsverfahren.
Die gegen den Abgabebescheid erhobene Klage, mit der die Saldierung der Überlieferung mit Unterlieferungen anderer Erzeuger und entsprechende Verringerung der Abgabe erstrebt wird, ist ohne Erfolg geblieben (FG Bremen, Urteil vom 8.2.2012, 4 K 132/10 [6]).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision zurückgewiesen.
Hinweis
1. Nach § 24 Satz 2 i.V.m. § 14 Abs. 2 Satz 4 und § 14 Abs. 1 Satz 6 MilchAbgV können auch nachträglich (d.h. nach dem auf den jeweiligen Zwölfmonatszeitraum folgenden 15. Mai) festgestellte Überlieferungen mit Unterlieferungen saldiert werden, falls nicht der Milcherzeuger dem HZA unrichtige oder unvollständige Angaben über seine tatsächlichen Milchverkäufe gemacht hat. Verschulden des Milcherzeugers ist nicht Voraussetzung für den Ausschluss vom Saldierungsverfahren. Es handelt sich bei diesem Ausschluss auch nicht um eine Sanktion, für die es an einer entsprechenden rechtlichen Grundlage im Unionsrecht fehlte. Denn Art. 10 Abs. 3 VO Nr. 1788/2003 überlässt es den Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob sie Milcherzeugern, die überliefert haben, ungenutzte Teile zugewiesener Referenzmengen proportional zuweisen (vgl. EuGH-Urteil vom 5.5.2011, C-230/09 und C-231/09, Etling und Etling, ZfZ 2011, 185, Rz. 52). Hiervon hat der deutsche Verordnungsgeber mit § 14 MilchAbgV im Sinne einer Neuzuweisung ungenutzter Referenzmengen nach eigenen objektiven Kriterien Gebrauch gemacht (BFH, Urteil vom 22.5.2012, VII R 23/08, BFHE 238, 287, ZfZ 2012, 267). Er hätte auf die Neuzuweisung ungenutzter Referenzmengen sogar ganz verzichten können. Denn einen unionsrechtlichen Anspruch auf Saldierung gibt es nicht (BFH, Beschluss vom 31.5.2006, VII B 37/05, BFH/NV 2007, 285).
Der Erhebung einer Milchabgabe steht ggf. auch nicht entgegen, dass im betreffenden Zwölfmonatszeitraum die Gesamtmenge der Lieferungen und Direktverkäufe die einzelstaatliche Referenzmenge nicht überschritten hat und der Mitgliedstaat folglich der Union keine Abgabe für diesen Zwölfmonatszeitraum schuldet. Zwischen den von den Mitgliedstaaten erhobenen Milchabgaben und den von ihnen an die Union abzuführenden Beträgen besteht keine strenge Akzessorietät (BFH, Beschlüsse in BFHE 203, 243, ZfZ 2004, 17 und in BFHE 213, 459, ZfZ 2006, 373). Die Milchabgabe des einzelnen überliefernden Erzeugers ist nicht gleichsam ein bloßer Beitrag zu der von dem Mitgliedstaat ggf. der Union geschuldeten Zahlung.
2. Der BFH hat den Erzeuger nicht mit dem Vorbringen gehört, es sei "mit Denk- und Logikgesetzen nicht vereinbar", dass die in seinem Betrieb erzeugte Milchmenge so umfangreich sei, wie seitens des HZA berechnet; denn die Anzahl der dort gehaltenen Milchkühe lasse das gar nicht zu. Der BFH weist in diesem Zusammenhang u.a. darauf hin, dass die Denkgesetze und Erfahrungssätze (was immer er sich darunter vorstellen mag) nicht ausschließen, dass ein Teil der Milcherzeugnisse z.B. aus hinzugekaufter Milch hergestellt worden ist. Dass der Verdacht der Verarbeitung solcher "Schwarzmilch" im Verlauf eines Ermittlungsverfahrens nicht bewiesen werden konnte, verbietet nicht, dies zulasten des Unternehmens zu berücksichtigen. Denn führt die Berechnung der Milchäquivalente für direkt verkaufte Milcherzeugnisse zu einer Rohmilchmenge, deren Herkunft nicht geklärt werden kann, obliegt es nicht dem HZA darzulegen, wie die errechneten Mengen erzeugt oder woher sie bezogen wurden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.4.2013 – VII R 9/12