Leitsatz
1. Für die Nacherhebung von Eingangsabgaben finden die Vorschriften des Zollkodex noch keine Anwendung, wenn der Tatbestand, der zur Entstehung der Abgaben geführt hat, vor Beginn der Geltung des Zollkodex verwirklicht worden ist.
2. Die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die Nacherhebung gelten auch für Eingangsabgaben, die infolge des Entziehens von Waren, die zu einem externen gemeinschaftlichen Versandverfahren angemeldet worden waren, aus der zollamtlichen Überwachung entstanden sind.
3. Für die Frage, ob die Zollbehörden den zutreffenden Betrag der Abgaben infolge strafrechtlich verfolgbarer Handlungen nicht genau ermitteln konnten (Art. 3 Unterabs. 1 VO (EWG) Nr. 1697/79), kommt es nicht auf den Zeitpunkt an, in dem eine strafbare Handlung festgestellt worden ist, sondern auf den Zeitpunkt, in dem die Abgabenschuld entstanden ist.
4. Die bei strafrechtlich verfolgbaren Handlungen noch geltenden Bestimmungen der Mitgliedstaaten über die Verjährung treffen im Falle der Gesamtschuldnerschaft auch den redlichen Zollschuldner.
5. Auch im Falle einer Erstattung von Eingangsabgaben hat der Abgabenschuldner einen Anspruch darauf, daß die Zollbehörde von einer Nacherhebung der erstatteten Abgaben absieht, wenn die dafür in Art. 5 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1697/79 festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind.
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BFH, Urteil vom 20.07.1999, VII R 85/98
Die Entscheidung VII R 85/98 betrifft einen Importeur (Kläger), dessen Kraftfahrer am 11./12.8. 1992 Zigaretten dem gemeinschaftlichen Versandverfahren entzogen hatte. Wegen der entstandenen Eingangsabgaben (Zoll-EURO, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) nahm das HZA den Kläger mit Bescheid vom 17.7.1995 in Anspruch. Nachdem der Kläger unter Hinweis auf den Zollkodex (Art. 221 Abs. 3 Satz 2 der VO (EWG) Nr. 2913/92) die Verjährung des Anspruchs geltend gemacht hatte, erstattete das HZA dem Kläger die Abgabenbeträge. Später gelangte das HZA zu der Auffassung, die Erstattung sei zu Unrecht erfolgt und nahm den Kläger erneut in Anspruch.
Der BFH entschied – anders als das FG –, daß der Streitfall nicht nach den Vorschriften des Zollkodex über die Nacherhebung von Einfuhrabgaben zu beurteilen sei, weil der Tatbestand, der zur Entstehung der Zollschuld geführt hat, noch vor Beginn der Geltung des Zollkodex verwirklicht wurde.
Auf dieser Grundlage verneinte der BFH zwar die Verjährung der Abgabeansprüche; denn im Streitfall gelte die nationale Regelung (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO, § 170 AO), nach der die Frist für die Festsetzung der Abgaben 10 Jahre beträgt. Der BFH hält es jedoch für möglich, daß der Inanspruchnahme des Klägers die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über den Vertrauensschutz (Art. 5 Abs. 2 VO Nr. 1697/79) entgegenstehen. Nach diesen Vorschriften hat der Abgabeschuldner auch im Falle der Erstattung von Eingangsabgaben Anspruch darauf, daß die Zollbehörde von der Nacherhebung der erstatteten Abgaben absieht, wenn die in der VO festgelegten Voraussetzungen (Irrtum der Zollbehörden, Nichterkennbarkeit des Irrtums für den Zollschuldner, Gutgläubigkeit des Zollschuldners und Einhaltung der geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung) erfüllt sind. Da das FG diesen Gesichtspunkt in seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hatte, hat der BFH das Urteil des FG aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.