OFD Hannover, Verfügung v. 23.4.2007, S 0351 - 77 - StO 143

Werden dem Finanzamt nach bestandskräftig durchgeführter Einkommensteuerfestsetzung vom Steuerpflichtigen bisher nicht erklärte, dem Steuerabzug (Kapitalertragsteuer) unterworfene Kapitalerträge bekannt, gilt Folgendes:

 

1. Korrektur der Einkommensteuerfestsetzung nach § 173 AO

Die nachträglich bekannt gewordenen Kapitalerträge stellen neue Tatsachen i.S.d. § 173 AO dar, die zur Änderung der Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO führen, wenn sich durch die Erfassung der Kapitalerträge eine geänderte (höhere) Einkommensteuerschuld ergibt und noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

Die Steuerfestsetzung ist auch dann nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, wenn sich nach Anrechnung der Kapitalertragsteuer eine niedrigere verbleibende Einkommensteuerschuld und damit ein Steuererstattungsanspruch ergibt (AEAO zu § 173, Nr. 1.4).

 

2. Anrechnung der Kapitalertragsteuer

Die regelmäßig mit der Einkommensteuerfestsetzung verbundene Anrechnung der Steuerabzugsbeträge stellt einen selbstständigen Verwaltungsakt (Anrechnungsverfügung) dar, der im Fall der Rechtswidrigkeit unter den Voraussetzungen des § 130 AO und des § 131 AO korrigiert werden kann.

Eine Korrektur der Anrechnungsverfügung zur nachträglichen Berücksichtigung von Kapitalertragsteuer ist ohne Bindung an eine Frist zulässig (BFH-Urteil vom 18.7.2000, BStBl 2001 II S. 133). Aus den Vorschriften zur Zahlungsverjährung (§§ 228 ff. AO) ergibt sich insoweit keine Einschränkung, da der Zahlungsverjährung nur festgesetzte und fällig gestellte Ansprüche unterworfen sind (§ 229 Abs. 1 AO).

Die von nachträglich bekannt gewordenen Kapitalerträgen einbehaltene Kapitalertragsteuer kann somit jederzeit – durch Korrektur der Anrechnungsverfügung zugunsten des Steuerpflichtigen nach § 130 Abs. 1 AO – nachträglich berücksichtigt werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG nur zulässig ist, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfällt. Die nachträgliche Anrechnung der Kapitalertragsteuer scheidet deshalb aus, wenn die betreffenden Kapitalerträge wegen eingetretener Festsetzungsverjährung nicht mehr der Einkommensteuer unterworfen werden können.

Der nachträglichen Berücksichtigung der Kapitalertragsteuer steht § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht entgegen, wenn die Änderung der Steuerfestsetzung im Hinblick auf die nachträglich bekannt gewordenen Kapitalerträge unterbleibt, weil die Einnahmen aus Kapitalvermögen – unter Einbeziehung der nachträglich bekannt gewordenen Kapitalerträge – den Werbungskosten-Pauschbetrag (§ 9a EStG) und den Sparer-Freibetrag (§ 20 Abs. 4 EStG) nicht übersteigen oder die Steuerschuld aus anderen Gründen – trotz Berücksichtigung der nachträglich bekannt gewordenen Kapitaleinkünfte – unverändert bleibt. Auch in solchen Fällen ist von der Erfassung der Kapitaleinkünfte im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG auszugehen, weshalb – bei Vorlage der Steuerbescheinigung – die Kapitalertragsteuer auch in diesen Fällen noch nachträglich angerechnet werden kann.

 

3. 10-jährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO)

Die Anwendung der 10-jährigen Festsetzungsfrist setzt voraus, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) objektiv und subjektiv erfüllt ist. In Fällen der Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen ist erforderlich, dass sich nach Berücksichtigung dieser Anrechnungsbeträge ein erhöhter Steueranspruch ergibt. Gegenüberzustellen sind demnach die Steuer nach den bisherigen (unberechtigten oder unterlassenen) Angaben (= Steuer-Ist) und die Steuer nach dem gesetzlichen Tatbestand, wie sie sich nachträglich darstellt (= Steuer-Soll), jeweils unter Berücksichtigung der Steueranrechnungsbeträge. Soweit sich der Steueranspruch hiernach, z.B. durch nachträgliche Berücksichtigung von Kapitalertragsteuern, ermäßigt, liegt schon objektiv keine Steuerverkürzung i.S.d. § 370 AO vor.

In dieser Fallkonstellation verbleibt es wegen der bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung bei der bisherigen Steuerfestsetzung. Eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer kann wegen § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht vorgenommen werden.

 

Normenkette

AO 1977 § 173

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge