Dr. Birger Brandt, Prof. Jürgen Brandt
Leitsatz
Schuldzinsen für betrieblich begründete Verbindlichkeiten sind auch nach Übergang des (Gewerbe-)Betriebs zur Liebhaberei als nachträgliche Betriebsausgaben abziehbar, wenn und soweit die zugrunde liegenden Verbindlichkeiten nicht durch eine mögliche Verwertung von Aktivvermögen beglichen werden können (Fortführung der BFH-Urteile vom 23.1.1991, X R 37/86, BStBl II 1991, 398; vom 12.11.1997, XI R 98/96, BStBl II 1998, 144).
Normenkette
§ 4 Abs. 4 EStG
Sachverhalt
Das FA ließ die erklärten Verluste der Klägerin aus ihrem zum 31.12.1990 aufgegebenen Silber- und Schmuckwarengeschäft bei der Einkommensteuerveranlagung unberücksichtigt, weil es seit Ende 1987 als Liebhaberei betrieben worden sei. Das angerufene FG nahm ebenfalls Liebhaberei an, erkannte aber gleichwohl Schuldzinsen als nachträgliche Betriebsausgaben an. Insoweit rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidung
Nach Auffassung des BFH gebietet schon der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG, die Tilgung betrieblicher Verbindlichkeiten nach Wandel zu einem Liebhabereibetrieb als nachträgliche Betriebsausgaben zu berücksichtigen, zumal der Steuerpflichtige den Beurteilungswandel zur Liebhaberei regelmäßig nicht beeinflussen könne.
Danach seien Schuldzinsen, die wirtschaftlich auf die Zeit nach der Umqualifizierung des Betriebs in einen Liebhabereibetrieb entfielen, abziehbar, soweit sie auch im Fall einer bei Übergang zur Liebhaberei vollzogenen Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe abziehbar gewesen wären, also auf denjenigen Teil der zu diesem Zeitpunkt vorhandenen und ablösbaren Betriebsschulden entfielen, der mit dem erzielbaren Erlös aus der Veräußerung des gesamten Aktivvermögens nicht hätte getilgt werden können.
Hinweis
Nach ständiger Rechtsprechung betreffen nachträgliche Betriebsausgaben Zinsen auf nicht getilgte Verbindlichkeiten eines einkommensteuerrechtlich relevanten Betriebs nach dessen Aufgabe oder Veräußerung. Voraussetzung ist, dass die Verbindlichkeiten während seines Bestehens begründet wurden und nicht durch den Veräußerungserlös oder durch eine mögliche Verwertung von Aktivvermögen beglichen werden konnten, ihre Tilgung gehindert oder z.B. wegen eines zugesagten Erlasses nicht veranlasst war (vgl. BFH, Urteil vom 7.7.1998, VIII R 5/96, BStBl II 1999, 209, m.w.N.).
Der Übergang eines (Gewerbe-)Betriebs zur Liebhaberei führt zwar mangels ausdrücklicher Aufgabeerklärung nicht zu einer Betriebsaufgabe, hat aber betriebsaufgabeähnliche Wirkung. Denn die Fortführung des Betriebs ist in Ermangelung einer Gewinnerzielungsabsicht der steuerlich irrelevanten Privatsphäre (§ 12 Nr. 2 EStG) zuzuordnen. Folglich ist das dabei eingesetzte Vermögen als Privatvermögen anzusehen.
Bei einer späteren – ausdrücklich erklärten – Betriebsaufgabe ist für die Ermittlung des Aufgabegewinns ausschließlich der Wert des Betriebsvermögens im Zeitpunkt des Übergangs zur Liebhaberei maßgeblich. Alle Wertänderungen des Betriebsvermögens während der Zugehörigkeit zum Liebhabereibetrieb sind steuerlich unbeachtlich, mit der Folge, dass die im Zeitpunkt des Übergangs zur Liebhaberei vorhandenen stillen Reserven festzuhalten sind und bei einem späteren gewinnrealisierenden Vorgang aufgelöst werden. Die realisierten festgeschriebenen stillen Reserven sind dann als nachträgliche Einnahmen aus dem vormals bestehenden Betrieb i.S.v. §§ 13, 15 oder 18 EStG zu versteuern.
Im Hinblick auf die betriebsaufgabeähnliche Wirkung des Übergangs zur Liebhaberei sind die nach Übergang geleisteten Zahlungen auf die früher begründeten betrieblichen Verbindlichkeiten nach denselben Grundsätzen als nachträgliche Betriebsausgaben anzuerkennen, wie sie für die Fälle der Betriebsaufgabe oder -veräußerung gelten.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.5.2002, X R 3/99